Wenn der Wind sich dreht

Wenn der Wind sich dreht
Post-Corona: Nun beginnt die gruppendynamische Aufarbeitung

Im Jahr 2020 begann eine der größten Gesundheitskrisen, die wir bis dato je erlebt haben, mit weitreichenden Konsequenzen für unser psychosozioökonomisches Gefüge. Auf eine Zeit der Entbehrungen und Vorschriften, die in einer Impfpflicht gipfelte, folgt nun eine Phase der Evaluation, welche für Politiker und andere Verantwortungsträger in der Retrospektive nicht unbedingt positiv ausfällt. Ganz im Sinne des dritten newtonschen Gesetzes, auch als „Actio et Reactio“ bekannt, kommt nun nach

dem anfänglichen Aufstellen von Regeln und damit

verbundenen Expertisen, Analysen und Simulationen die Reaktion durch die Betroffenen.

Jene fällt, wie wir durch das erneute Erstarken der FPÖ sehen, alles andere als so aus, wie es sich die Entscheidungsträger aus Politik und Wissenschaft vielleicht erträumt hätten. Im Gegenteil. Nachdem die Politik ihre Macht demonstriert hat, erscheint der psychodynamische Bumerang in Form eindeutigen Feedbacks bei den vergangenen Urnengängen.

Das Verhalten der Politik, der Experten, der Medien und von uns allen ist kritisch zu reflektieren, statt im konditionierten Abwehrreflex auf andere zu zeigen.

Die Selektion der Experten in puncto Ausgewogenheit und Bandbreite sowie deren Wechselwirkung mit den hohen politischen Würdenträgern ist ein weiterer Parameter, den es im Interesse einer therapeutischen Aufarbeitung des gesamtgesellschaftlichen „Traumas“ (frei nach Kanzler Nehammer) zu analysieren gilt. Denn der Eingriff in den höchst individuellen Lebensbereich des Einzelnen ist und war für viele eine Grenzüberschreitung, die nun klar sichtbar mehr als signifikante Spuren hinterlassen hat. Die entstandene Kollektivneurose oder besser gesagt das psychosoziale „Post Corona Syndrom“ gilt es nun zu behandeln. Eine erfolgreiche Therapie kann aber nur gelingen, wenn man alle bewussten und unbewussten Komponenten der Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen gegen ebendiese durchleuchtet.

Am Ende einer derartigen transparenten Evaluation werden sich die Verantwortlichen die Frage stellen müssen, wie groß die Neben- und Folgewirkungen der verordneten Interventionen waren. Für die Politik bleibt nur zu hoffen, dass am Ende nicht das Sprichwort „Operation gelungen, Patient tot“ zutrifft. Unabhängig vom Politiker- und Experten-Geplänkel werden wir alle uns sehr rasch revitalisieren müssen, denn die nächsten Problemstellungen sind in Manifestation der hohen Inflation, Kosten der Pandemie und deren Folgeschäden sowie des Ukraine-Kriegs längst gegenwärtig. Daher gilt es, parallel zum Verarbeitungsprozess dessen Schlussfolgerungen simultan auf die neuen Probleme umzulegen, denn jede Krise beinhaltet die Chance daraus zu lernen und dadurch neue Herausforderungen zu meistern.

Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna

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