Was der neue Erzbischof von Wien können muss

Was der neue Erzbischof von Wien können muss
Der Nachfolger von Christoph Schönborn sollte einen liberaleren Weg einschlagen. Ein Gastkommentar von Anton Grabner-Haider.

Im Jänner 2025 wird der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn sein Amt aufgeben. Danach wird vom Papst ein neuer Erzbischof ernannt werden. Den Namen kennen wir nicht, auch wenn viele im Umlauf sind. Das Amt des Wiener Erzbischofs ist eine Symbolgestalt der Kirche in Wien und in Österreich, mit einer starken Ausstrahlung in Mitteleuropa. Denken wir an den liberalen Kirchenmann Kardinal Franz König. Seine beiden Nachfolger haben als konservative Kirchenmänner diese Ausstrahlung stark eingeschränkt.

Der neue Amtsträger sollte der veränderten religiösen, gesellschaftlichen und politischen Situation gerecht werden. Er muss mit einem starken Team arbeiten, bestehend aus Laienchristen, vor allem aus Frauen. Denn die Kirchenmitglieder sind mehrheitlich weiblich.

Viele Mitbürger sind zu Randchristen oder „Kulturchristen“ geworden. Sie können viele der alten Lehren der Kleriker nicht mehr glauben. Aber sie halten an den christlichen Kulturwerken und an den Moralwerten des Evangeliums fest. Der neue Amtsträger braucht den Austausch auch mit ihnen.

Zum anderen muss der neue Amtsträger den Dialog leben zwischen konservativen und liberalen Christen. Dabei zeigt sich, dass die Lernfähigen die große Mehrheit bilden, während Traditionalisten und Fundamentalisten kaum auf 10 Prozent kommen. Wenn sich der neue Erzbischof wieder auf die Seite der Konservativen schlägt, wird er den Auszug der Liberalen beschleunigen.

Was der neue Erzbischof von Wien können muss

Anton Grabner-Haider

Christliche Grundwerte

Der neue Amtsträger sollte eine starke Stimme in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit gewinnen. Denn es geht um die Erhaltung der christlichen Grundwerte des Zusammenlebens. Er sollte teamfähig sein und viele Mitarbeiter dazu motivieren, die Grundideen des Christentums mit Begeisterung weiter zu geben.

Er vertritt die Grundwerte der Demokratie, des Rechtsstaates und die allgemeinen Menschenrechte für alle Bürger. Diese Zielwerte stammen aus der stoischen Philosophie, sie sind ins Christentum eingegangen und werden seit dem letzten Konzil auch von der Kirchenleitung vertreten. Das bedeutet: Der neue Amtsträger muss mit seinem Team eine starke Stimme erheben gegen Fehlentwicklungen in der Gesellschaft, gegen Lüge und Hass in den Neuen Medien, gegen die Feinde der Demokratie aufseiten der politischen Rechten und Linken.

Er muss die Pfarren motivieren, mehr Räume für die Integrationsarbeit zur Verfügung zu stellen. Er muss mehr Laienchristen dazu motivieren, ehrenamtlich in der Lernbetreuung für Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien tätig zu werden. Die Kirchen schöpfen ihre sozialen Potenziale bei Weitem nicht aus.

Der neue Amtsträger muss auch das Gespräch suchen mit den Ausgetretenen. Die meisten von ihnen bleiben überzeugte Christen, aber sie wollen mit ihrem Geld nicht länger die unbeweglichen Organisationen der männlichen Kleriker unterstützen. Es sind empirisch nachweisbar mit großer Mehrheit Frauen die „Erlöserinnen“ aus der Welt des Hasses und der Kriege.

Zudem muss er die Zusammenarbeit mit den anderen Religionen dringend verstärken. Die Kooperationen mit muslimischen Gemeinden müssen intensiviert werden, damit wechselseitige Lernprozesse in Gang kommen. Es wäre sinnvoll, die theologische Kooperation zu vertiefen, ja sogar gemeinsamen Religionsunterricht anzubieten. Alte Monopolansprüche auf Wahrheit helfen uns nicht weiter.

Wieder Kardinalswürde?

Es warten also große Aufgaben auf den neuen Erzbischof von Wien. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er vom Papst noch einmal zum Kardinal ernannt werden, da Wien aus der Geschichte heraus eine wichtige Position in der Weltkirche innehat. Im Jahr 1903 konnte der Kaiser von Österreich noch eine Papstwahl verhindern.

Der scheidende Kardinal Schönborn war seit seiner Studienzeit in Rom ins konservative Fahrwasser geraten. Er musste als Schüler des bayerischen Kardinals Joseph Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI. dessen traditionalistische Politik voll mittragen. Deshalb blieb sein Austausch mit den liberalen und lernfähigen Kräften in der Kirche dürftig. Er hat mit seiner konservativen Denkform gewiss nicht die geistige und moralische Weite der Katholiken in Österreich repräsentiert. Er hat den Auszug aus der Kirche beschleunigt.

Anton Grabner-Haider ist Religionsphilosoph an der Universität Graz.

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