Unser Blut als Flüssiggas

Unser Blut als Flüssiggas
Russland hat in Syrien wohl für die Ukraine geübt. Der Westen hat dort leider weggesehen.

Viele Nachrichten erreichten mich in letzter Zeit in Bezug auf den Krieg in der Ukraine.  Manche fragen, wie es mir damit geht und andere, warum ich mich nicht dazu äußere. Der Krieg an sich, die Kämpfe, die Zerstörungen und der Wahnsinn Putins irritieren mich emotional nicht.

Denn die Bilder von fallenden Raketen, zerstörten Wohngebieten und verstümmelten Körper der Zivilisten erreichen mich aus Syrien tagtäglich. Was den Krieg in der Ukraine für mich vertraut macht, ist, dass unter anderem in Syrien derselbe Aggressor dahintersteht. Die russische Luftwaffe hat in Syrien laut NGO Airwars 23.000 Menschen getötet. Russlands Verteidigungsminister verkündete stolz, dass 320 Waffenarten in Syrien getestet wurden. Das alles wirkt so, als hätte Putins Regime in Syrien geübt.

Denn sie verwendeten die gleichen Strategien und es wurde mehrfach bestätigt, dass viele Soldaten, die in der Ukraine kämpften, bereits in Syrien im Einsatz waren. Anders aber ist die Reaktion der EU und der USA. Denn sie sahen sich nicht genötigt, gegen die Verbrechen des russischen Regimes in Syrien irgendwelche Sanktionen zu verhängen. Ein Arzt aus der Provinz Idlib in Syrien schrieb nach der Zerstörung seines Krankenhauses durch die russische Luftwaffe in den sozialen Medien: “Wegen uns Sanktionen zu verhängen, rentiert sich nicht. Denn unser Blut ist das Flüssiggas, das Wohnungen in Europa warmhält.”

Aber im Herzen völlig erschüttert und getriggert hat es mich, die Ukrainer:innen auf der Flucht zu sehen. Ich konnte die Angst, die Verstörung und den Schmerz in meiner Brust und in meinem Mund spüren. Es war äußerst unerträglich, dass noch mehr Menschen entwurzelt und vertrieben und sich an Gewalt gewöhnen werden. Das ist die größte Rechnung, die uns der Krieg präsentiert: Menschen, die ihn nicht angezettelt und nicht gewollt haben, werden ihres Friedens beraubt. Auch diejenigen, die den Krieg begonnen haben, werden auch nichts gewinnen, denn sie werden ihrer Menschlichkeit entleert. Der einzige Gewinner im Krieg ist: niemand. Krieg ist der unzivilisierteste Ausdruck des Menschseins.

Unzivilisiert ist ebenfalls die Doppelmoral mancher Staaten im Umgang mit geflüchteten Menschen. Wo Polen und Ungarn syrische und afghanische Menschen an ihren Grenzen brutal zurückschoben und sie ungerührt erfrieren ließen, werden jetzt Ukrainer:innen mit offenen Armen vorbehaltslos empfangen, weil sie angeblich weiße Haut, bessere Bildung und die gleiche Religion haben.

Epah, ein Freund, den ich in der Grundversorgung vor Jahren betreut habe, der nach sechs Jahren in Österreich drei Ablehnungen seines Asylbescheides bekommen hat und dem jeden Augenblick die Abschiebung droht, schrieb mir angesichts dieser Doppelmoral, dass er sich wertlos fühlt.

Diese Doppelmoral macht mich sehr traurig. Sie ist nicht nur rassistisch, sondern auch eine Schande in der Geschichte Europas. Der Grund, warum wir die Genfer Flüchtlingskonvention und den Flüchtlingsschutz in unserem Gesetz verankert haben, ist, weil sich nach dem Zweiten Weltkrieg außergewöhnliche Persönlichkeiten, die diese Misere der Flucht und Vertreibung am eigenen Leib erlebt hatten, dafür eingesetzt und stark gemacht haben. Wenn wir diese Gesetze jetzt missachten und sie nur nach kapitalistischen Maßstäben einsetzen, wird ein beachtlicher Teil der modernen Geschichte Europas verworfen.

Jad Turjman ist gebürtiger Syrer. Er kam im Jahr 2015 nach Österreich und lebt als Autor in Salzburg.

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