Sinkender Euro, steigende Preise
Als sich die Teuerungswelle Anfang des Jahres für jeden sichtbar über Europa aufzutürmen begann, war unter den Experten der Streit um die Ursachen schon voll entbrannt.
Die Inflation sei lediglich importiert, meinte die eine Seite. Schuld seien die russische Aggression in der Ukraine und die aberwitzige Zero-Covid-Strategie der Chinesen. In Europa komme die Teuerung nun in Form von gestiegenen Rohstoffpreisen an. Da könne man leider nichts tun.
Andere Experten widersprachen: Natürlich könne man etwas tun. Schließlich sei die Inflation auch hausgemacht – und zwar durch die lockere Geldpolitik der EZB, deren bittere Früchte wir nun serviert bekämen. Ohne das viele Geld im Umlauf würden die Preise nicht steigen. Hinzu kämen die hohen Staatsschulden, die Energiewende und andere Preistreiber.
Vervielfacht? Ja, aber
Wie so oft bei Streitigkeiten unter Ökonomen haben beide Seiten teilweise recht: Es stimmt, dass sich die Rohstoff- und Energiekosten in kurzer Zeit vervielfacht haben. Das gleiche gilt für Stahl, Halbleiter, Nahrungsmittel und so weiter. Dazu kommen die gestiegenen Frachtpreise. Einen Container über die Weltmeere zu transportieren, kostet inzwischen gut und gerne fünfmal so viel wie noch vor zwei Jahren. Ein großer Teil der Inflationswelle ist also importiert. Der aktuelle Importpreisindex lag im ersten Quartal dieses Jahres um fast 13 Prozent höher als im Vorjahresdurchschnitt.
Aber bedeutet das, dass wir die Hände in den Schoß legen können? Reicht es, darauf zu warten, dass Putin über Nacht zur Räson kommt und Corona verschwindet?
Würde der Preisanstieg dann von alleine aufhören oder das Niveau sogar wieder sinken? Leider nein. Auch eine importierte Inflation kann sich verfestigen und damit langfristig zur Gefahr für unseren Wohlstand werden.
Das passiert, wenn die Wirtschaftsteilnehmer weitere Preissteigerungen erwarten müssen und diese bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Es ist klar, dass sich die Teuerung in den heurigen Lohnverhandlungen niederschlagen wird.
Spirale droht
Sollten die Abschlüsse aber zu hoch ausfallen, weil die Beschäftigten weitere Inflationsschübe befürchten, dann kommen wir in eine Lohn-Preis-Spirale. Importiert oder nicht: Von hier an würde sich die Teuerung verselbstständigen.
Die EZB kann weder den Krieg beenden, noch Corona besiegen. Aber die Zentralbank muss signalisieren, dass sie die Lage im Griff hat und die Inflation einfangen kann.
Verbale Beruhigungspillen werden dieses Ziel nicht erreichen. Besser wäre ein glaubwürdiger Plan zum Ausstieg aus der Nullzinspolitik und zur Stärkung des Euro.
Die gemeinsame Währung ist im Moment das Einzige, das in Europa immer billiger wird. Im Vergleich zum Dollar verlor der Euro in den letzten zwölf Monaten rund 14 Prozent an Wert. Dadurch verteuern sich Importgüter, die in Dollar gehandelt werden, noch zusätzlich. Es wird also höchste Zeit, dass Europa wieder Segel setzt, statt sich von der Teuerungswelle verschlucken zu lassen.
Jan Kluge ist Ökonom beim wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria
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