Schmerzliche Stunden: Trümmerhaufen der politischen Mitte

Dem Bundespräsidenten blieb kaum anderes übrig, als Kickl nun den Regierungsauftrag zu erteilen
Der soziale Zusammenhalt im Land wird riskiert. Ein Gastkommentar von Arno Tausch.

Ausgerechnet am Dreikönigstag, dem Hochfest der Internationalität und der internationalen Solidarität der christlichen Kirchen, wurde also Herbert Kickl mit der Bildung einer österreichischen Bundesregierung beauftragt, die unter anderem die österreichische Entwicklungshilfe drastisch kürzen und die soziale Polarisierung in unserem Land weiter vorantreiben wird.

Anders als im Jahr 2000, als Bundeskanzler Wolfgang Schüssel noch ein machiavellistisches Husarenstück gelang, als Dritter die wichtigsten Ministerien unter seine Kontrolle zu bringen und die FPÖ auch sonst in den Verhandlungen über den Tisch zu ziehen, wird nun Herbert Kickl die einstmals christdemokratische Partei, die ÖVP, bei den Regierungshandlungen vorführen und über den Tisch ziehen.

Schmerzliche Stunden: Trümmerhaufen der politischen Mitte

Arno Tausch

Der nunmehrige Trümmerhaufen der politischen Mitte in Österreich nahm freilich seinen Anfang in der absolut unverantwortlichen Fehleinschätzung von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die mit 9 Prozent der Stimmen die Richtung einer künftigen Regierung diktieren wollte und vor allem mit ihrer Forderung nach einer Pensionsreform übersah, dass etwa in Schweden 1998 die damalige Regierung die Abstimmung im schwedischen Reichstag ohne Klubzwang durchführen ließ.

Meinl-Reisingers Aufstehen vom Verhandlungstisch war der veritable Brandbeschleuniger und bedeutet nun, dass die Freiheitlichen mit einem Drittel der Stimmen bei den Nationalratswahlen im Herbst die Kontrolle über alle Nachrichtendienste unserer Republik übernehmen werden.

Freilich wird eine von ihnen geführte Regierung bald mit dem Risiko konfrontiert sein, dass die Freiheitlichen außer einem Wirtschaftsprogramm von Barbara Kolm, die der Hayekschen Gesellschaftslehre besonders nahesteht, nichts zu bieten haben und ihre bisherigen Vorschläge – wie etwa die Kürzung oder Streichung der Sozialhilfe für Asylwerber – erstens an den österreichischen und europäischen Höchstgerichten scheitern werden und zweitens nur einen kleinen Teil jener 18 Milliarden Euro, die im Budget fehlen, abdecken würden. Es ist denkbar, dass – wie bei der ersten Regierung aus ÖVP und FPÖ – bald die inneren Widersprüche aufbrechen und die Regierung mit einem Paukenschlag endet, so wie seinerzeit in Knittelfeld 2002.

Die Umfaller der ÖVP zerstören nicht nur die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Partei, sie riskieren mit ihrer Koalition auch den sozialen Zusammenhalt in unserem Land und schaden in tragischer Weise dem internationalen Ansehen unserer Republik. In dieser schmerzlichen Stunde für unser Land täte die Sozialdemokratie gut daran, sich als die Kraft der Mitte und des sozialen Ausgleichs weiter zu profilieren und insbesondere auch auf das noch immer vorhandene beträchtliche Potenzial der anerkannten Religionsgemeinschaften in unserem Land zuzugehen.

Arno Tausch ist ein österreichischer Politikwissenschafter

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