Rechnen, Schreiben, Lesen – erst am Ende der Lehre?

Ernst Smole
Die Lehrlingsproblematik beginnt bereits bei elementaren Kompetenzen.

Ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit der Lehrlingsproblematik ist das Faktum, dass nicht wenige Pflichtschulabsolventen die Eignungstests, die immer mehr Firmen durchführen – es geht dabei primär um die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen – nicht bestehen. Der WKO zufolge scheiterten in Wien bereits vor der Pandemie 66 Prozent der sich Bewerbenden an diesen Tests.

Großfirmen sind teils dazu übergegangen, schulisch nicht ausreichend vorbereitete junge Menschen dennoch aufzunehmen. In diesen Fällen werden bis zu eineinhalb Jahre der Lehrlingsausbildung zum Nachholen des elementaren Schulstoffs genutzt – „zweckentfremdet“, wie manche Unternehmer meinen. Die eigentliche handwerkliche Fachausbildung gerät dadurch tatsächlich qualitativ unter Druck. Für kleinere Firmen und für den sprichwörtlichen Kaufmann ums Eck ist dieses Modell allein schon aus Kostengründen völlig illusorisch. Oft gehen Mängel bei Lesen, Schreiben und Rechnen mit einer problematischen Arbeitshaltung einher. Dies verwundert nicht, da die durch konsequentes Lernen – also kompromissloses, anstrengungsbereites „Dranbleiben“ – erlangte Beherrschung der Grundkompetenzen auch eine wichtige „Schule des Arbeitens“ darstellt, die zu einer positiven Arbeitshaltung und in der Folge zur Wertschätzung von Leistung führt.

Dies ist heute zu wenig bewusst. Dass diese Probleme ausgerechnet Österreich hat, ein Land, das sich bei Bildungsausgaben traditionell im Spitzenfeld von EU und OECD befindet, verwundert. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie reichen von einer Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen, die seit Jahrzehnten hinter den wirklichen Bedürfnissen herhinkt, bis zu einem hypertrophen Schulverwaltungsföderalismus, der primär behindert, bremst und demotivierenden Dauerärger verursacht, obwohl seine Architekten das genaue Gegenteil beabsichtigt hatten.

Mit den großen Fluchtbewegungen des letzten Jahrzehnts oder mit Covid haben diese Problemlagen deutlich weniger zu tun, als oft behauptet wird. Die Wissenschaft hat bereits in den 1980ern auf die sinkende Beherrschung der Grundkompetenzen hingewiesen und vor möglichen Folgen gewarnt. Wenn man in Betracht zieht, welch kometenhafte Entwicklung Europa seit dem Beginn der Aufklärung genommen hat, Hand in Hand mit der Alphabetisierung letztlich aller Bevölkerungsschichten, dann muss uns die fortschreitende Dealphabetisierung beträchtliche Sorgen bereiten.

Es ist der Position Konrad Paul Liessmanns zuzustimmen, dass „Lesen, Schreiben und Rechnen weder Bildung noch Ausbildung sind, sondern die unverzichtbare Grundlage für BEIDES“ – in besonderem Maße für eine positive Zukunft der Handwerkslehre. Dafür braucht es glückliche Lehrerinnen und Lehrer, glückliche Schülerinnen und Schüler und eine föderale Organisationsstruktur, die dieses Glück für alle ermöglicht. Das kleine, reiche Österreich schafft das.

Ernst Smole leitet das Int. Forum für Kunst, Bildung & Wissenschaft, koordiniert den Bildungs:Föderal & Verwirklichungsplan 2030

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