Raus aus den Abhängigkeiten

Raus aus den Abhängigkeiten
Haben wir vergessen, die Lieferkette zu reparieren?

Die Pandemie hat uns die Abhängigkeiten der globalen Lieferkette deutlich vor Augen geführt. Wird ein chinesisches Werk aus dem medizinischen Bereich wegen eines Lockdowns zwangsgeschlossen, kann es – etwa wie zuletzt – an Kontrastmitteln mangeln. Ohne sie gibt es keine medizinischen Scans. Schon müssen Operationen verschoben werden. Gerade flüchteten wieder Arbeiter wegen restriktiver Covid-Maßnahmen aus dem zentralchinesischen Werk Zhengzhou des Apple-Zulieferers Foxconn. Laut Reuters könnte das die Produktion von iPhones um bis zu 30 Prozent drücken. Wie stabil sind also die globalen Versorgungswege heute, drei Jahre nach Ausbruch von Covid? Was man bei der Einzahl „der Lieferkette“ gern vergisst: Jedes Unternehmen kann sich auf Hunderte verschiedener Lieferketten verlassen, die jeweils von vielen verschiedenen Produkten und Unternehmen abhängen. Klar gibt es Flaschenhälse wie den Suezkanal. Aber jede Lieferkette hat ihre eigenen Stärken und Schwächen.

Doch nicht nur Apple, auch andere führende Unternehmen haben ihre Lehren aus der Pandemie gezogen. Seit September wird das iPhone 14s in Apples neuer Produktionslinie in Chennai, Indien gefertigt. Bis 2025 soll ein Viertel aller iPhones in Indien produziert werden. Ein Fünftel aller iPads und Apple Watches sowie die Hälfte aller Airpods sollen in Vietnam gefertigt werden. Um die neuen US-Zölle zu umgehen, sind auch Samsung, LG Electronics oder Hasbro aus China weggezogen.

Laut einer Umfrage von Gartner unter 400 Supply-Chain-Leadern im zweiten Quartal 2022 haben 74 Prozent von ihnen Änderungen in den letzten zwei Jahren an Größe und Anzahl der Standorte in ihrem Liefernetz vorgenommen. Wir reden also von einer Transformation der globalen Lieferketten. Alles aus der „Fabrik der Welt“ zu verlagern ist allerdings unmöglich. Zu komplex und einzigartig ist die jahrzehntelang aufgebaute chinesische Infrastruktur aus unzähligen Fabriken und einzigartiger Produktionserfahrung. China besitzt zudem die Hälfte der größten Containerhäfen der Welt.

Mit dem „US CHIPS and Science Act“ will aber etwa die USA sich zukünftig selbst mit dem Schlüsselprodukt Mikrochips versorgen. Klappt das, könnte mit der Pharmabranche eine nächste Schlüsselindustrie nachziehen. Würde die Pandemie heute ausbrechen, wären wir wahrscheinlich nur wenig besser aufgestellt. Viele Maßnahmen wurden ins Leben gerufen, um die Versorgungsketten resilienter zu gestalten. Diese Resilienz tatsächlich aufzubauen, dauert aber noch Jahre. Zu viele Probleme – wie etwa zu wenige Fahrer – sind älter als Covid und zu wenige Unternehmen investieren in die Automatisierung ihre Lieferkettensysteme. Kurz: Wäre die Versorgungskette ein Patient, würde er 2022 nicht mehr verbluten, wäre aber immer noch auf Reha.

Günther Hirschbeck ist österreichischer Managing Direktor von Dachser Austria.

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