"Patientenmilliarde": Ein teurer Marketing-Gag

Beate Hartinger-Klein im U-Ausschuss
Selbst die Ex-Ministerin gibt zu, dass die "Patientenmilliarde" nicht zu erbringen war. Der wahre Grund für die Kassenfusion. Ein Gastkommentar von Julia Stroj.

Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass im Herbst 2018 die damalige türkis-blaue Bundesregierung mit großen Ankündigungen ihr Reformvorhaben für die Sozialversicherung vorgestellt hat. Heute wissen wir, dass all die Versprechen leer waren – ja sogar von der damals zuständigen Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) als Marketing-Gag von ÖVP-Strategen bezeichnet werden.

Dass es die „Patientenmilliarde“ nicht geben kann, haben Kritikerinnen und Kritiker der Reform damals schon festgehalten. Der ÖGB hat in seiner damaligen Stellungnahme vor einer Mehrbelastung im dreistelligen Millionenbereich gewarnt. Der Rechnungshof hat es mittlerweile bestätigt: Anstelle der vermeintlichen „Patientenmilliarde“ wurde die Versichertengemeinschaft mit 215 Millionen Euro Fusionskosten belastet. Hinzu kommt ein Geldmittelentzug durch das Reformgesetz bei der ÖGK. Die beziffert der jetzige Arbeitnehmer:innen-Obmann Andreas Huss mit bis zu 1,21 Milliarden Euro bis 2028. So konnte es auch nicht zu „mehr Kassenärzten“ kommen, wie vollmundig versprochen wurde.

"Patientenmilliarde": Ein teurer Marketing-Gag

Julia Stroj

Aber wozu dann dieser Marketing-Gag? Weder bessere Leistungen noch politische Wirksamkeit konnten gewährleistet werden. Eine bessere Gesundheitsversorgung war auch nie das Ziel der Sozialversicherungsreform.

Das eigentliche Ziel war es, die Wirtschaftsinteressen innerhalb der ÖGK zu stärken, insbesondere in der Selbstverwaltung und durch die Forcierung von Privatmedizin. Seit den Anfängen der Sozialversicherung im Jahr 1888/89, also noch in der Monarchie und vor der Einführung des allgemeinen Wahlrechts, haben die versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Krankenversicherung selbst bestimmt; damals mit einer Zweidrittelmehrheit.

Sowohl in der Ersten wie auch in der Zweiten Republik hatten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann in den Entscheidungsgremien ihrer Versicherung vier Fünftel der Stimmen – immerhin sind sie auch die Betroffenen von den Entscheidungen der Selbstverwaltung. Ein Angriff war es also, dass durch die Sozialversicherungsreform die Entscheidungsmacht zu 50 Prozent zu den Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft ging. Sie haben seither die Macht, jede Entscheidung in der Selbstverwaltung zu blockieren – dabei sind Arbeitgeber selbst gar nicht in der ÖGK oder der PVA versichert.

Das heißt, für jede einzelne Entscheidung wird, mitunter mühsam, die Zustimmung ausgehandelt. Daher muss auch klar gesagt werden: Die Errungenschaften, die seit 2020 umgesetzt wurden, kamen trotz der Reform von Kurz, Strache, Hartinger-Klein und Co. – nicht wegen ihrer Reform. Das Budgetloch der ÖGK wird in den kommenden Jahren nur weiter aufklaffen. Die Aufgabe einer nächsten Bundesregierung wird es sein, diesen Marketingpfusch zu reparieren.
 

Julia Stroj ist Expertin für Gesundheitspolitik beim ÖGB

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