Niemand sollte ausgeladen werden

Niemand sollte  ausgeladen werden
Ukraine-Krieg: Destruktive Gesten in Sport und Kultur

Niemand zweifelt daran, dass der vor einem Jahr ausgebrochene Krieg in der Ukraine von seinem Nachbarn, der Russischen Föderation, verursacht wurde. Warum auch immer dies geschah, der Kriegsauslöser ist zu verurteilen.

Es ist auch selbstverständlich, dass man den Angegriffenen in jeder Form zu helfen hat. Aber die Absurditäten von manchen Maßnahmen gegen alle und alles, was russisch ist, gegen die 144 Mio. Menschen, die in Russland leben oder je dort gelebt haben, sind grotesk und menschenverachtend.

Die Änderung von Straßennamen mit russischen Dichtern oder Komponisten wie Puschkin, Tolstoi oder Dostojewski bis Tschaikowski, Rachmaninow und Prokofiev in westlichen Ländern und das Ausschließen und Ändern von Theater- und Opernprogrammen mit russischen Schriftstellern und Bühnenwerken verarmt sinnlos unsere Kultur, unser Wissen, ja unsere Zivilisation!

Wem hilft es, wenn Tschaikowskis „Eugen Onegin“ oder Tschechows „Die Möwe“ nicht auf unseren Bühnen gespielt werden dürfen und diese berühmten und wichtigen Werke aus dem Kanon der Weltliteratur verschwinden müssen?

Die Olympischen Spiele sind eine große, tiefe, weltumfassende Errungenschaft unserer Geschichte. Das Olympische Komitee fokussiert auf drei seit der Antike geltende Werte: Respekt, Freundschaft und Leistung. Respekt hat zum Ziel, „die Annäherung und das gegenseitige Verständnis zwischen den Völkern zu fördern.“ Die fünf Ringe stehen symbolisch für die fünf Erdteile und ihre sechs Farben entsprechen denen sämtlicher Nationalflaggen der heutigen Welt.

Das Ausschließen eines Athleten oder einer Athletin vom Wettbewerb – einer Läuferin aus Irkutsk oder eines Gewichthebers aus Wladiwostok –, weil er oder sie russisch ist, ist unfair, ungerecht, zersetzend für den Bewerb und nicht im Geiste und Sinne des olympischen Gedankens im weitesten Sinne, womit auch internationale Wettbewerbe wie Wimbledon beim Tennis gemeint sind, wo kürzlich einer der weltbesten Tennisspieler nicht antreten durfte, weil er Russe ist.

Die Ausgrenzung einzelner Mitbewerber relativiert darüber hinaus die Leistung der Sieger und vermindert den Wert ihrer Leistung.

Und was denkt der zu Unrecht ausgesperrte russische Athlet? Wie reagiert der angehende Pianist oder Sänger, der trotz seiner Qualifikation wegen seiner russischen Abstammung zum Wettbewerb nicht zugelassen wird?

Sie werden sich alle frustriert vom Westen bestohlen fühlen. Ihre Abneigung wird sich nicht gegen die kriegsführende Regierung ihrer Heimat richten, sondern gegen den bösen Westen, der sie ungerecht behandelt.

Ioan Holender war Direktor der Wiener Staatsoper

Kommentare