Nein sagen ist zu wenig
Österreichs Ansehen in Europa war schon besser. So ehrlich muss man sein. Hört man sich in diesen Tagen um, liegt die Einschätzung zu unserer Rolle in der EU zwischen nüchternem Realismus – etwa, wenn wir uns bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen „konstruktiv enthalten“ – und Erstaunen – wenn Entscheidungen, die maßgeblichen Einfluss auf die EU-Zukunft haben könnten, per se abgelehnt werden. Letzteres scheint immer häufiger der Fall zu sein: Vom Aus für Verbrennermotoren bis zur Schengen-Erweiterung, von einem gemeinsamen Investitionsfonds für europäische Projekte bis zu Mercosur.
Eine Reform der Fiskalregeln erfährt ebenso Ablehnung wie der EU-Migrationspakt. Europäische Pläne zur Klassifizierung nachhaltiger Investitionen stoßen genauso auf ein „Nein“ wie ein Beitrag zur Ausbildung von ukrainischen Soldaten, während zu Hause die notwendige sicherheitspolitische Debatte – gegenläufig zu anderen
EU-Mitgliedsländern – noch negiert wird.
Egal, ob dieses Bild Österreichs nun gerechtfertigt ist oder auf Missverständnissen beruht. Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben. Die Situation verlangt nach einem Strategiewechsel, zumindest aber einer besseren Erklärung der eigenen An- und Absichten.
Sie verlangt nach einer engagierteren Rolle, nach mehr Initiative und europapolitischer Ambition. Die aktuelle politische Innenschau, bei der die EU nicht selten als Gegenspieler dargestellt wird, wirkt dabei kontraproduktiv und trägt auch reichlich wenig dazu bei, die Stimmung gegenüber der Union in Österreich zu verbessern, wie etwa Meinungsumfragen zeigen: Zwar ist weiterhin eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den EU-Verbleib unseres Landes, die Zahl der Austrittsbefürworter steigt jedoch und lag im Herbst 2022 immerhin bei 27 Prozent.
Wenn sich die Debatte zu Europa hierzulande vor allem durch Ablehnung auszeichnet, darf man sich über eine weitere Polarisierung in Sachen EU nicht wundern. Eine verantwortungsvolle Politik müsste daher gegensteuern, denn die Schwierigkeiten werden nicht weniger: Der eben erschienene Weltklimabericht zeichnet ein dramatisches Bild, eine neue globale Unsicherheitsordnung ist im Entstehen, die liberale Demokratie stärker denn je unter Druck. Wir stehen vor Problemen, die wir alleine nicht lösen können. Sich die Illusion einer guten, heilen Welt zurückzuwünschen und Neues abzulehnen, wird dabei nicht helfen. Höchste Zeit also sich den Realitäten zu stellen. 2024 stehen Europawahlen und Nationalratswahlen an. Sollen diese in einem Umfeld von Europa-Skeptizismus, Selbstverzwergung und Politrezepten von anno dazumal stattfinden oder einen optimistischen, Chancen und Perspektiven betonenden Ideenwettstreit bieten? Wenn die Herausforderungen größer werden, sollte selbiges eigentlich auch für den Anspruch der Politik gelten, Europa vorzubereiten.
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.
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