Wir werden mehr arbeiten müssen, nicht weniger
Die Mär der positiven Effekte einer möglichen Arbeitszeitverkürzung („früher war es ja auch möglich“) fußt auf Entwicklungen von vor mehreren Jahrzehnten, die heute nicht zutreffen. In den 80er-Jahren, zur Zeit der letzten gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung, wuchs das BIP im Schnitt um 1,8 Prozent pro Jahr. Die Produktivität wuchs zwischen 1980 und 1989 jährlich um 1,7 Prozent. Heute rechnet das WIFO mit einem BIP-Rückgang und die Produktivität stieg seit 2013 nur noch um durchschnittlich 0,1 Prozent pro Jahr. Heute führt die demografische Entwicklung gnadenlos zu einem Arbeitskräftemangel – eine zwanghafte Verkürzung der Arbeitszeit wäre zusätzliches Öl ins lodernde Feuer.
Wer heute nach Arbeitszeitverkürzung ruft, blendet also aus, dass sich die Rahmenbedingungen völlig geändert haben: Moderates Wachstum oder gar Rezession und geringe Produktivitätsfortschritte bieten ökonomisch keinen Spielraum. Und im Gegensatz zu den 80er-Jahren beschert uns der Austritt geburtenstarker Jahrgänge aus dem Erwerbsleben einen eklatanten Arbeitskräftemangel.
Wer heute nach Arbeitszeitverkürzung ruft, nimmt in Kauf, dass wir Wettbewerbsfähigkeit schmälern und Wohlstand einbüßen. Fest steht: Wir brauchen Antworten auf die Fragen unserer Zeit, keine nostalgischen Träumereien. Diese Antworten müssen ein Bekenntnis zu mehr Leistung beinhalten – nicht zu weniger. Sonst wird aus unserem Wirtschaftsstandort ein Museum namens „Wirtschaft stand dort“.
Dazu folgende Zahlen: Bis 2040 geht am Arbeitsmarkt eine Lücke von weit über 500.000 fehlenden Arbeitskräften auf. Daraus schrumpft die Wirtschaftsleistung um 50 Mrd. Euro. Eine geforderte Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden würde das BIP zusätzlich um 40 Mrd. Euro senken. Überall fehlen Arbeitskräfte: Wer betreut künftig Alte und Kranke? Wer unterrichtet unsere Kinder? Wer steuert öffentliche Verkehrsmittel, sorgt für Ordnung und Sicherheit? Laut einer Umfrage im Auftrag der WKÖ sehen bereits heute 82 Prozent der Befragten Probleme in den Spitälern, 81 Prozent in der Altenbetreuung, 75 Prozent bei niedergelassenen Ärzten und 64 bzw. 61 Prozent bei Schulen und Kinderbetreuung.
Unser Ziel ist daher, die Menschen zu motivieren, wieder mehr zu arbeiten. Wir wissen aus Umfragen, dass Viele dazu bereit wären: 21 % sagen, sie könnten sich vorstellen, die Wochenstunden zu erhöhen, 28 % mehr Überstunden zu machen. Fast die Hälfte der Befragten ist bereit, mehr zu leisten. Umgelegt auf die mehr als 3,9 Millionen unselbstständig Beschäftigten heißt das, dass sich fast 2 Millionen Menschen vorstellen können, mehr zu arbeiten. Die Politik sollte das mit besseren Rahmenbedingungen für Mehrarbeit und längerem Arbeiten im Alter sowie einem massiven Ausbau der ganzjährigen/-tägigen Kinderbetreuung unterstützen.
Karlheinz Kopf ist Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich
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