Jugendliche feiern Erdoğan: Das Wegschauen muss aufhören

Jugendliche feiern Erdoğan: Das Wegschauen muss aufhören
Die vielen Erdoğan-Fans in Österreich sind auch ein Symptom der Bildungspolitik.

Die Türkei hat gewählt, eine überwältigende Mehrheit der in Österreich lebenden Türkinnen und Türken hat Erdoğan gewählt. Am Wahlabend trafen sich in Wien-Favoriten Hunderte seiner Fans, um lautstark zu feiern, darunter auch Rechtsextreme. Das ist sehr verstörend und beunruhigend. Ich lebe seit fast fünfzig Jahren in Favoriten, habe hier 17 Jahre lang an einer AHS unterrichtet und kann sagen: Seit Erdoğan hat sich unglaublich viel verändert. In den letzten Tagen gab es dazu zahlreiche Analysen.

Lassen Sie mich hier aber den Blick auf das Schulsystem richten, das zwei Generationen der hier lebenden türkischstämmigen Erwachsenen und Jugendlichen besucht haben bzw. gerade besuchen. Jahrzehntelang wurde die Situation von migrantischen Schülerinnen und Schülern entweder ignoriert, oder aber es wurden Probleme schöngeredet. Das Wegschauen muss aufhören.

Dass wir ein massives Problem damit haben, Jugendliche aus Zuwandererfamilien gut und schnell zu integrieren, ist wissenschaftlich erwiesen, wird aber von der Politik mit völlig unzureichenden oder gar kontraproduktiven Mitteln wie den Deutschförderklassen beantwortet. Schülerinnen und Schüler aus Familien mit türkischem Hintergrund haben es offenbar noch schwerer. Wie kommt es, dass sie auch in der dritten Generation besonders schlecht abschneiden? Sie sind ja nicht weniger intelligent als andere. Sehr viele von ihnen kommen allerdings aus Familien mit niedrigem Bildungsniveau, und der erste Kontakt mit Deutsch erfolgt oft erst beim verpflichtenden Kindergartenjahr.

Unser Schulsystem, das sich durch hohe Bildungsungerechtigkeit auszeichnet, ist nicht in der Lage, die Defizite auszugleichen. Wie kommt es, dass Menschen, die neun Jahre in unserem Bildungssystem verbracht haben, einen antidemokratischen Führer wählen? Die Schule hat hier völlig versagt. Das müssen wir dringend diskutieren und den Fokus nicht auf die richten, die am Reumannplatz gefeiert haben, so verstörend die Bilder auch sind.

Was aber ist zu tun? Wir sind seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, und dennoch hat unser Schulsystem nicht darauf reagiert. Die Maßnahmen müssen von klein auf beginnen, etwa mit aufsuchender Familienarbeit wie in den meisten skandinavischen Ländern. Der Fokus muss dann auf den Kindergarten und die Volksschule gerichtet sein, denn spätestens da sollten herkunftsbedingte Defizite beseitigt sein. Damit dies gelingt, benötigen wir erheblich mehr Ressourcen, besonders an den Schulen mit vielen zusätzlichen Herausforderungen. Der Unterricht muss auf individuelle Förderung ausgerichtet sein. Die Eltern müssen in die Schule geholt werden. Und noch vieles mehr ist zu tun. Wie es geht, wissen wir längst, doch der politische Wille fehlt. Der Bildungsminister und die Integrationsministerin sind gefordert. Es ist spät, aber nicht zu spät.

Heidi Schrodt ist ehemalige AHS-Direktorin und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Bildung

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