Ist Antisemitismus ein Kavaliersdelikt?

Ist Antisemitismus ein Kavaliersdelikt?
Die FPÖ ist wohl salonfähig. Auch in Niederösterreich

Der Wille der Politik und der Eliten im Kampf gegen den Antisemitismus scheint die Bevölkerung wenig zu beeinflussen. Für sie ist der Antisemitismus ein Kavaliersdelikt! Dazu einige Beispiele: Walter Rosenkranz hat im letzten Bundespräsidentschaftswahlkampf Julius Sylvester als sein Vorbild bezeichnet. Dieser gehörte einer der schlimmsten antisemitischen und rechtsextremen Burschenschaften an, Sylvester selbst war ein glühender Antisemit. Und das hinderte Hunderttausende Menschen nicht daran, Rosenkranz bei der letzten Bundespräsidentenwahl zu wählen.

Udo Landbauer war Obmann der FPÖ Niederösterreich und ist vor Jahren an einem Liederbuch seiner Burschenschaft, der Germania zu Wiener Neustadt, fast gescheitert. Er wurde jedoch nicht rechtskräftig verurteilt, weil niemand nachweisen konnte, dass er das Liederbuch selbst geschrieben hätte. Er ist jetzt Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich und wird wieder von Hunderttausenden Niederösterreicher*innen gewählt werden. Die Nähe zum Antisemitismus und das Liederbuch sind für diese Wähler belanglos.

Johannes Hübner war bis 2017 Mitglied des Nationalrates für die FPÖ, dann stolperte er über einen antisemitischen Witz über den Autor der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen (den er als Herrn Kohn verspottete), und musste zurücktreten. Drei Jahre später wurde er Bundesrat der FPÖ in Wien.

Glaubt man den Umfragen, dann liegt Herbert Kickls FPÖ im Bund bereits an erster Stelle. Ich habe Kickl vor Jahren einen Mini-Goebbels genannt. Damals machte ich klar, dass Kickl weder ein Antisemit noch ein Kriegsverbrecher ist. Was ihn aber mit Goebbels vergleichbar macht, ist seine Politik des Hetzens, des Ausgrenzens, des Hasses, der Propaganda um jeden Preis. Und Lösungen lauten immer gleich: Ein Schuldiger muss her! Wenn zum Beispiel die Asylzahlen des letzten Jahres eindeutig nachweisen, dass der Hauptschuldige für das Versagen der europäischen Asylpolitik Ungarn ist (56 Asylanträge gegenüber 100.000 in Österreich), dann wird nicht Ungarn kritisiert, sondern der österreichische Rechtsstaat.

Wenn sich die Kickls, Landbauers und Co. durchsetzen, bekommen wir in Österreich ungarische Zustände: Dort hat über eine halbe Million junger Menschen das Land verlassen, ist die Geburtenrate dramatisch zurückgegangen. Ungarn ist heute eines der Länder mit massivem Bevölkerungsrückgang. Wer wird dort in 15 Jahren die Pensionen verdienen? Die Medien sind fast alle unter Kontrolle. George Soros und seine Universität wurden mit üblen antisemitischen Slogans nach Wien vertrieben. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Wähler*innen dem Antisemitismus eine klare Absage erteilen und Abstand von der FPÖ nehmen. Auch die anderen Parteien sollten um die FPÖ, Landbauer & Co. einen weiten Bogen machen.

Ariel Muzicant ist Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses

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