Hurra –Wir sind normal!

Hurra –Wir  sind normal!
Österreich wurde erst mit viel Verspätung zur Konkurrenzdemokratie. Ein Gastkommentar von Melanie Sully.

Für Politologen war die österreichische Politik nach dem zweiten Weltkrieg keineswegs „normal“. Zwei Parteien teilten mit ihren Interessensgruppen die Republik zwischen „Rot“ und „Schwarz“ auf.

Normalerweise führt ein Verhältniswahlrechtsystem zu einem Mehrparteiensystem, abwechselnden Koalitionen und politischer Instabilität. Österreich hingegen war eine Insel der gesegneten Eliten, wo Kompromisse schon geschlossen wurden, noch bevor ein Konflikt auftrat. Dadurch entwickelte sich eine Stabilität, welche sich zu einer abnormalen Hyperstabilität verformte.

SPÖ und ÖVP zeichneten sich durch eine Organisationsdichte mit für eine westliche Demokratie überproportional hohen Mitgliederanzahlen aus. Sozialpartnerschaft und Proporzregierungen zementierten diese Konsensdemokratie; eine Austragung von Gegensätzen – typisch für eine normale Demokratie – wurde dadurch verlangsamt. Die politische Kultur an der Basis der zwei Parteien wurde durch ihre Vorfeldorganisationen stärker ideologisiert, aber auch hier fand ein Abnabelungsprozess statt.

Hurra –Wir  sind normal!

Jahrzehntelang war klar, dass ÖVP und SPÖ (hier Alois Mock und Franz Vranitzky) die Politik dominierten

Das Bröckeln alter Strukturen führte zu einer Verunsicherung Vieler. Das Gefühl zusammenzugehören, sei es in einer politischen Partei oder in einer Religionsgemeinschaft, verschwand. Dieses neue Umfeld begannen nun Populisten, Pop-up Parteien und One-Issue-Gruppen zu beackern mit dem Ziel (einfache) Lösungen für jene Zurückgebliebenen der Gesellschaft zu bieten, die zwar eine Wählerstimme hatten, sich aber nicht gehört fühlten. Neue Möglichkeiten von Koalitionen entstanden und Politologen haben einen „Normalisierungsprozess“ und sogar eine „Verwestlichung“ der österreichischen Politik festgestellt. Österreich war auf dem Weg von einer Konsensdemokratie zu einer Konkurrenzdemokratie.

Die Herausforderung von Politikern aller Parteien ist, mit den Verzweifelten, den Nichtwählern und den Wechselwählern wieder in Verbindung zu treten. In diesem Sinn ist Österreich nun eine „normale“ Demokratie.

In vielen europäischen Ländern ging in den vergangenen Jahrzehnten die Kluft zwischen jenen an der Spitze und den unteren Bevölkerungsschichten auseinander, wobei sich letztere zunehmend dem rechten politischen Spektrum zuwandten. In Großbritannien, wo die Unterstützung für die mitte-links positionierten Labour-Partei zuletzt gestiegen ist, versucht der konservative Premierminister Rishi Sunak nun bei jenen Wählern Boden gut zu machen, die zwar die Umwelt schützen, aber nicht auf ihr Benzin betriebenes Auto und ihre Gasthermen verzichten wollen.

Das Tempo, mit dem sich der Wandel in der heutigen Gesellschaft vollzieht, ist abnormal atemberaubend. Die Reaktion derjenigen die, diese Änderungen trifft und benachteiligt funktioniert aber nach dem Florianiprinzip: Wir können das gerne machen, aber bitte nicht bei mir. Das ist normal verständlich.

Melanie Sully ist eine britische Politologin und lebt seit langem in Österreich.

Kommentare