Großbritannien – eine Krise wie früher

Großbritannien – eine Krise wie früher
Der Brexit und seine Folgen sind nicht die erste schwere Phase, die das Königreich meistern musste

Kein britischer Premierminister weilt lang in Downing Street, ohne mit Krisen konfrontiert zu werden. Vor über 200 Jahren verlor Lord North die amerikanischen Kolonien. David Cameron hat die EU-Mitgliedschaft verloren. Johnson wurde nur Premierminister weil es eine gravierende Krise gegeben hat.

Chaos hat ihm geholfen und er wäre durchaus in der Lage Schottland zu verlieren. Die erste Krise, an die ich mich erinnere, war die Suezkrise in den 1950er-Jahren und der Zusammenbruch des Britischen Weltreichs.

Auch damals plauderte man über die Krise in der Monarchie Jahrzehnte zuvor. Die Jahre danach unter Premierminister Macmillan waren relativ ruhig und nahezu langweilig.

Die 1960er-Jahre waren voll von wunderbaren Krisen, die das Establishment erschütterten, voller Spione und Sexskandale. Die 1970er-Jahre waren weniger spektakulär, obwohl sie gleichwohl Wirtschaftskrisen aufweisen konnten. Margaret Thatcher trat als Premierministerin gegen die Bergarbeiter an, das seine Spuren bis zum heutigen Tag in der Arbeiterbewegung hinterlassen hat.

Das darauffolgende Jahrzehnt leitete eine spaltende Debatte über Europa ein, die später den Namen Brexit bekam. Dazwischen gab es eine bunte Sammlung an finanziellen, sozialen und außenpolitischen Desastern. Die Wähler verloren das Vertrauen in den großen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Institutionen. Dies äußerte sich in Proteststimmen.

Im Norden, wo die Labour Party einst stark war, stimmten die Menschen für die Konservativen. Im wohlhabenderen Süden, dem Territorium der Tory-Hochburgen, entschieden sich die Wähler für andere Parteien. Das Protestpotenzial stellt für die Labour Party wie auch die Conservative Party eine Herausforderung dar. Keine hat eine Lösung.

Die meisten Optionen sind nicht konsensfähig, also taumelt Großbritannien weiter. Die Monarchie überlebt als Staatsoberhaupt weil alle andere Alternativen noch ärger sind. Die weltberühmte Tragödie „Hamlet“ spielte zwar in Dänemark, nichtsdestotrotz fasst sie das britische Gemüt zusammen: die Unfähigkeit, eine konkrete Entscheidung zu treffen. Shakespeare kam nicht zufällig aus „Mittelengland“, weder aus dem Norden noch dem Süden, sondern von woanders.

Selbst beim Brexit-Referendum stimmte über die Hälfte gegen die EU und etwas weniger als die Hälfte dafür. Die Schotten wollen ein zweites Unabhängigkeitsreferendum aber sind uneinig wann und das könnte genauso knapp sein wie beim Brexit Referendum. Was dann?

Brexit hat eine Reihe von merkwürdigen Verfassungskrisen ausgelöst – merkwürdig, weil man keine Verfassung hat. Darüber wird endlos diskutiert aber man kann sich nicht auf einem Verfassungsmodell einigen. Österreicher besitzen ein Talent für Kompromisse und können durchwursteln. Die Briten mögen Kompromisse nicht und haben auch durchgewurstelt.

Brexit ist jetzt mitverantwortlich für etliche Krisen aber eine Rückkehr in die EU hat wenig Unterstützer. „Sein oder nicht sein“ könnte in einer Tragödie enden – oder vielleicht auch nicht.

Melanie Sully ist eine britische Politologin.

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