Genderfrage und Teichtmeister
Die junge Vergangenheit zeigt uns den Film „Corsage“ als großen Erfolg. Gerade gewinnt er den Preis für die beste Hauptdarstellerin in Cannes, er ist als Oscaranwärter in der engeren Auswahl. Marie Kreutzers Film handelt nicht nur von einer der bekanntesten österreichischen Frauenfiguren der Geschichte, er erklärt das Phänomen Sisi aus einer weiblichen Perspektive und feiert deren Renaissance als pionierhafte Feministin.
So füllt er den Fleckenteppich der österreichischen Geschichtserzählung mit den verlorenen Perspektiven weiblicher Helden:innen unserer Vergangenheit, erzählt damit unsere Geschichte ein Stück weit weiter und gibt uns einen ganzheitlicheren Blick in die Zukunft.
Die Kunst erfüllt hier nicht nur ihre Aufgabe als Geschichtenerzählerin, und handelt in ihrer Funktion der Vervollkommnung der Seele eines Volkes, die seine Kultur ist, sondern schreibt unsere Geschichte neu. Er fügt ihr ihre verlorene zweite Seite hinzu.
Hierdurch ist sie ganz Stimme derjenigen unter uns, die zu lange ohne Stimme waren: der Frauen. Dieses Kunstwerk bildet das Korsett des Frauseins ab und eröffnet uns das gesellschaftliche Bild der Frau, in dem sie so lange gefangen war, einzigartig, durch die mehrdimensionale Sprache des Films.
Pädophilie ist eine Abnormität, die vorwiegend in Männern auftritt. Ob sie überhaupt in der Frau zum Vorschein kommt, ist noch immer Teil der aktuellen, wissenschaftlichen Diskussion. Fraglich bleibt auch, wann Pädophilie eine antrainierte Neigung, und wann sie eine Krankheit darstellt. Die nächste Frage, die im Raum steht, ist die nach der Eigenverantwortung des Betroffenen. Stemmt er sich aktiv gegen seine Neigung, oder fördert er sie und lässt er sich von ihr zur missbräuchlichen Handlung treiben? Tatsache ist, dass auch die Konsumation von Filmen, die den sexuellen Missbrauch an Kindern beinhalten (verharmlosend: „Kinderpornos“) zur Produktion derselben und damit zum tatsächlichen Missbrauch beitragen. Dieser Punkt der Geschichte erscheint wie eine hässliche Groteske: Gerade ein Mann, der so viele Filme durch seine Seele ausgestaltete und uns alle hierdurch bereichert, lässt die zartesten Seelen unserer Gesellschaft, die der Kinder, durch den Film verarmen. Die Kunst wird hier zum Werkzeug der Gewalt.
Die Genderfrage wurde in der Causa Teichtmeister bisher nicht gestellt – das ist ein Armutszeugnis. Ich stelle sie jetzt: Warum gibt unsere Gesellschaft der Stimme eines Mannes so viel mehr Gewicht als den vielen Stimmen der Frauen für die und durch die dieser Film spricht?
Wie kommt es dazu, dass sogar diskutiert wurde, diesen Erfolgsfilm aus dem Rennen für den Oscar zu nehmen?
Der Korruptionsskandal im Europaparlament führte schließlich auch nicht zu dessen Schließung. Das Werk steht über dem Einzelnen.
Liliane Zillner ist Schauspielerin.
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