Gegen die Normalisierung von Gewalt an den Grenzen

Gegen die Normalisierung von  Gewalt an den Grenzen
Die EU-Außengrenzen sind geprägt von brutalen Pushbacks

Während in Österreich parteiübergreifend nach noch schärferen Abschreckungsmaßnahmen an den EU-Außengrenzen gerufen wird, sind wir als Ärzte ohne Grenzen im Einsatz, um die Folgen der aktuellen Politik zu behandeln. Derzeit betreiben wir mobile Kliniken an der ungarisch-serbischen Grenze. Unsere Patientinnen und Patienten berichten von Schlägen mit Gürteln und Schlagstöcken, Hundebissen, Tritten und anderen Formen der Demütigung durch Sicherheitskräfte, sowie vom Einsatz von Pfefferspray und Tränengas als gängige Praktiken.

Diese Gewalt führt nicht nur zu physischen Verletzungen, sie schreibt sich auch in die Körper und Psyche der Betroffenen ein und führt oftmals zu einer Re-Traumatisierung von Menschen auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Wir hören von furchtbaren Misshandlungen. Wir sehen die Wunden der Menschen und behandeln sie.

Frontex hat sich von der ungarisch-serbischen Grenze zurückgezogen, Österreich hingegen hat sich entschlossen, das Regiment der im September gegründeten „Grenzjäger“ zu unterstützen und seine Präsenz von 50 auf 70 Personen aufzustocken und technische Überwachungsgeräte bereitzustellen. Wir fragen uns: Worauf basiert diese Entscheidung? Dokumentieren die österreichischen Beamten ebenfalls diese Gewalt, deren Zeug:innen wir sind? Was passieret mit dem Videomaterial aus stationären, mobilen und Drohnenkameras? Was passiert, wenn darauf Grenzgewalt dokumentiert ist? Gibt es unabhängige Menschenrechtsbeobachter:nnen, wie es Frontex-Mindeststandard ist? Wenn nicht, wer stellt die Einhaltung der Standards sicher?

In seinem Forderungskatalog mit fünf Punkten spricht Innenminister Gerhard Karner unter anderem davon, dass die Europäische Kommission Zäune an den Außengrenzen finanzieren soll. Besonders verstörend in all dem ist die damit einhergehende Aushöhlung von EU-Rechts- und internationalen Rechtsstandards sowie die Mängel in Rechenschafts- und Berichtspflichten und Safeguarding-Mechanismen. Frontex hat sich aus genau diesen Gründen 2021 aus Ungarn zurückziehen müssen. Wir wissen, dass Zäune und Mauern vollkommen nutzlos sind, um Migration zu lenken. Trotz Grenzzäunen in Ungarn und Gesetzen mit drakonischen Strafen verläuft die Hauptmigrationsroute auf dem Balkan über Ungarn. Untersuchungen zeigen, dass Grenzbarrieren, wenn überhaupt, nur kurz Migration reduzieren und verändern, bis neue Überwindungsstrategien entwickelt werden. Die ungarische Grenze zu Serbien ist bereits jetzt eine der technisch gefährlichsten und dennoch werden Menschen nicht davon abgehalten. Die Barrieren sind lediglich eines: gefährlich für die Betroffenen. Sie stehen für ein System struktureller Gewalt, das zudem zu immer gewaltsameren Pushbacks führt. Diese Gewalt ist nicht im Einklang mit bestehenden Rechtssystemen, weder den Menschenrechten noch dem internationalen Völkerrecht.

Marcus Bachmann ist Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen Österreich

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