Es reicht!

Es reicht!
Claus Raidl: Auch die „alte“ ÖVP lässt den Anstand missen. Wie Karl Nehammer jetzt Leadership beweisen sollte.

„Es reicht.“ Mit diesem Satz hat Wilhelm Molterer am 7. 7. 2008 die Koalition mit der SPÖ beendet. Er begründete diesen Schritt der ÖVP vor allem damit, dass der Koalitionspartner (die SPÖ) „orientierungs- und führungslos“ sei. Ich fürchte, dass viele ÖVP-Mitglieder, ÖVP-Wähler und -Sympathisanten derzeit über die ÖVP genauso denken, weil nach den jüngsten Vorkommnissen in der ÖVP in Bezug auf Geldbeschaffung (z. B. Wirtschaftsbund Vorarlberg, Umgehungskonstruktionen bei einigen Seniorenbünden etc.) jedes Vertrauen, eine korruptionsfreie Partei zu unterstützen, verloren gegangen ist.

Die jetzt im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss behandelten Vorfälle betreffen die Zeit, in der Sebastian Kurz Bundeskanzler war (vom 18. 12. 2017 bis 11. 10. 2021 mit einer Unterbrechung). Die Hoffnung der ÖVP ist, dass zwar der dringende Verdacht besteht, nicht alle Gesetze in dieser Zeit eingehalten zu haben (Manipulation von Meinungsumfragen und deren Bezahlung mit Steuergeld, Postenschacher, Steuerrabatt für Herrn Wolf etc., etc.) aber diese Fehler der ÖVP von damals zeitlich und personell eingrenzbar sind.

Neu? Oder ganz alt

Die damals „Neue Volkspartei“ hat dafür die Verantwortung zu tragen. Die gute, alte, schwarze ÖVP (jetzt wieder „Die Volkspartei“) hätte solche Verfehlungen sicher nicht gemacht. Leider ist es nicht so: Wie sich nun zeigt, hat auch die „alte“ ÖVP jedes Gefühl für Anstand und für die Einhaltung von Compliance-Regeln verloren. Wie kann es passieren, dass sich die ÖVP aus öffentlichen Fördertöpfen (NPO-Fonds – Non Profit Organisationen-Fonds) mit komplizierten Rechtskonstruktionen Gelder zuschanzt, die für politische Parteien nicht vorgesehen waren. Wo bleibt der Anstand?

Noch ärger als die Bedienung aus diesem Fördertopf finde ich die nun laufend angebotenen Rechtfertigungen. So wird das Vorgehen z. B. in Oberösterreich damit begründet, dass der Seniorenbund eine Doppelexistenz als ÖVP-Teilorganisation und als gemeinnütziger Verein hat. Man muss allerdings wissen, dass dieser „Schattenverein“ mehr oder weniger die selben Funktionäre, die selbe Adresse und die selbe Telefonnummer wie der „echte“ Seniorenbund hat.

Für wie dumm halten uns diese Herren? Ist der Wähler nur mehr der „nützliche Idiot“, der dafür missbraucht wird, dass sich die Parteien ihre Taschen füllen? Der neue Parteiobmann der ÖVP hat in seiner Rede am Parteitag den Unterschied von ÖVP und SPÖ so erklärt: Der hl. Martin hat seinen Mantel geteilt und einem armen, unbekleideten Mann die andere Hälfte geschenkt. Die SPÖ hingegen würde den Mantel einem anderen wegnehmen und diesen dann großzügig weiterschenken.

Doch was hat der nicht heilige Seniorenbund getan? Man hat Steuergelder genommen, diese aber nicht an Dritte verteilt, sondern sich selbst die Taschen vollgestopft. Losgelöst von jeder strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenz stellt sich die Frage: Von welchen Menschen werden wir regiert? Dem neuen – mit 100 % der abgegebenen Stimmen (auch hier gibt es den Verdacht der Manipulation) – am Parteitag gewählten Bundesparteiobmann gibt diese Situation die einmalige Chance, Führungsstärke zu zeigen.

Die Conclusio

Leadership würde in diesem Fall bedeuten:

1. Alle Teilorganisationen zahlen die Beträge sofort zurück (zumindest auf ein Treuhandkonto, bis eventuell Gerichte entschieden haben).

2. Alle Unterlagen werden der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zur Verfügung gestellt.

3. Die ÖVP selbst beauftragt eine angesehene internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die Vorfälle zu untersuchen und dann einen Bericht zu verfassen. Dieser Bericht wird im Sinne der Transparenz auch veröffentlicht.

4. Umgehungskonstruktionen welcher Art auch immer, die im ÖVP-Umfeld gemacht wurden, werden gelöscht.

Trotz dieser schrecklichen Vorfälle, die sich hoffentlich nicht wiederholen werden, werde ich weiterhin ÖVP wählen, weil die Neos zu links und andere Parteien nicht wählbar sind.

Claus Raidl ist ehemaliger Präsident der Nationalbank.

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