„Du bist jetzt viel weniger Mama“

„Du bist jetzt viel weniger Mama“
Der Rucksack, den ich mein Leben lang herumschleppe, wird mir von meinen Töchtern leichter gemacht

68,5 kg. Der Tag beginnt gut. Kein Siebener vorne. Mehr als ein ganzes langes Jahr steige ich in den frühen Morgenstunden als erstes auf die Waage. Soll man nicht, ich weiß. Es ist nämlich ganz falsch, wenn das eigene Körpergewicht alle Macht über Stimmung und Verfassung übernimmt.

Das sagen mir meine Töchter eindringlich, das praktizieren sie in beachtenswerter Form, in ihren drei Altersklassen knapp vor, mitten drin und wahrscheinlich doch schon nach der Pubertät.

Abwiegen gibt es bei ihnen nicht, prinzipiell nicht. Einzige Ausnahme: vor einer Flugreise. (Wobei Corona, das Familienbudget und Umweltbedenken das Fliegen schon lange zu einer Seltenheit haben werden lassen.) Um also die maximal zulässige Grenze des Koffergewichts nicht zu überschreiten, stellen sich dann sogar die Jungdamen zuerst einmal ohne und anschließend einmal mit Gepäck auf die Waage.

Ich mache das, wie gesagt, täglich. Noch. Auch das werde ich von meinen Kindern lernen. Richtig fliegen nämlich. Meinen Rucksack, den ich seit der Schulzeit mit mir herumschleppe, empfinde ich als groß.

Jetzt will ich mich einmal beweisen. War ich doch immer eine „lauter Einser“-Schülerin, … ja, außer einem ewigen Zweier in „Bewegung und Sport“, „Leibesübungen“, wie das damals noch hieß und diesen Begriff kein Kind heute mehr kennt. Von der Volksschule bis in die Oberstufe prangte in der letzten Zeile auf meinen Zeugnissen dick und fett „2“. Im Maturazeugnis gehörte es schließlich nicht mehr zu den „Prüfungsgebieten“. Gott sei Dank. War sowieso viel zu lange gar nicht cool, gar nicht angenehm gewesen.

Aktuell ist die erste Woche der Zentralmatura in Österreich vorüber. Doch nein! Schon vor den schriftlichen Klausuren stand „die VWA“ an: „Die vorwissenschaftliche Arbeit stellt die erste Säule der (teil-)standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung dar“, erklärt das Bildungsministerium. In anderen Schultypen übrigens, damit nicht immer nur die AHS vor den Vorhang geholt werden, sind keine VWA, sondern „Abschlussarbeiten“ oder „Diplomarbeiten“ verpflichtend zu verfassen. Meine Älteste hat in ihrer VWA ein ganzes, ebenfalls langes Jahr zum Thema „Der Effekt von Musik auf Motivation und Leistung beim Laufsport“ gearbeitet.

Nebenbei fungierte sie mir, ihrer Mutter, als Personal Coach, befüllte mir permanent meine Playlist und war mir konsequentes Vorbild. Ich laufe seit einem Jahr, blase mir dabei meine beste Musik in die Ohren, spule gute neun Kilometer fast täglich runter und habe ein Viertel meines Körpergewichts verloren.

„Mama, du bist so viel weniger Mama!“ sagt die Tochter dazu. Wenn sie mich umarmt, dann gehen jetzt ihre Hände locker an meinem Rücken zusammen. Mein lebenslanges Leibesübungsproblem schwindet langsam, auch dank ihr. Können wir bitte – gerade auch am Muttertag, ja! – unseren Kindern und Jugendlichen mehr zuhören, da kommt so viel Gescheites, auch sie die Richtung vorgeben lassen? Kinderrechte stehen sogar in unserer Verfassung. Dann wäre die höchstpersönliche Tagesverfassung definitiv nicht mehr von einer Waage abhängig.

Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez koordiniert das Netzwerk Kinderrechte Österreich.

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