Die Neutralität mit Leben füllen

Die Neutralität mit Leben füllen
Österreich muss sich seine Rolle in der Welt wieder stärker bewusst machen. Und Taten folgen lassen

Befragt man Österreicherinnen und Österreicher dieser Tage zu ihrer Haltung zur Neutralität, wird schnell klar: Die Neutralität ist so unumstritten wie selten zuvor. 90 Prozent der Bevölkerung ist sie, gemäß unserer Umfragedaten, wichtig, während ein NATO-Beitritt unseres Landes, vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine, mit 17 Prozent - und konträr etwa zu Schweden und Finnland – aktuell kaum Anhänger findet.

Dennoch sprechen sich zwei Drittel der Bevölkerung für die Verstärkung europäischer Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus. Wie passt das zusammen? Niemand kann angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine tatenlos zusehen. Auch Österreich tut das nicht. Das Land ist militärisch– aber eben nicht gesinnungsneutral, orientiert sich an den Vorgaben des Völkerrechts, und bezieht beim Bruch dieser, politisch klar, unmissverständlich und solidarisch Position. Dazu zählt selbstverständlich etwa auch alle europäischen Maßnahmen gegen Russland mitzutragen und Vertriebenen zu helfen.

Und wer die österreichische Politik verächtlich als europäische Anhängselpolitik beschreibt, verkennt den Ernst der Lage. Österreich ist essenzieller Teil Europas und profitiert von seinem Schutz.

Nach Jahrzehnten einer Friedensdividende ist das Land gefordert seinen sicherheits- und geopolitischen Handlungsradius zu erweitern, beispielsweise – und ähnlich den dänischen Prioritäten – durch eine verbesserte Finanzierung und europäische Spezialisierung des Bundesheers, den nachhaltigen Ausbau seiner Analyse- und diplomatischen Vermittlungskapazitäten und der Ausweitung seines humanitären Engagements in Krisengebieten. Aber auch die Reform und damit Stärkung multilateraler Organisationen sollte Österreich jetzt ein dringendes Anliegen sein.

Neutralität bedeutet ja nicht, sich zurückzulehnen und den Lauf des Weltgeschehens vorbeiziehen zu lassen.

Geforderte Regierung

Die Bundesregierung in Wien ist heute mehr denn je gefordert, sich innerhalb der EU und darüber hinaus aktiv einzubringen. Einer Union die, mancherorts noch als wirtschaftlicher Riese, aber weltpolitischer Zwerg geschmäht, gerade jetzt ihre geopolitische Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt. Sanktionen und offene Gesprächskanäle sind dabei kein Widerspruch, sondern entsprechen den europäischen Grundprinzipien, denn ohne wirtschaftlichen Druck wird es nie zu einer Verhaltensänderung kommen.

Die aktuelle Entwicklung zeigt aber auch deutlich, dass internationale Handelsverflechtungen nicht zwangsläufig zu politischem Wandel und Demokratisierung führen. In Russland ist genau das Gegenteil eingetreten und Europa wird daraus seine Lehren ziehen müssen. Umso wichtiger ist es, dass auch in der UNO-Generalversammlung eine überwältigende Mehrheit von 141 Staaten den russischen Einmarsch in die Ukraine mit Vehemenz verurteilt hat. Österreich wäre, als eines dieser Länder, gut beraten sich jetzt sicherheits- und verteidigungspolitisch neu aufzustellen und seine Neutralität mit Leben zu füllen.

Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).

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