Die neue Regierung sollte eine resilientere EU mitgestalten
Die US-Wahlen haben einmal mehr deutlich gemacht: Die EU muss auf ihre eigenen Stärken setzen, braucht Zusammenhalt. Sie muss sich in einer sich immer schneller drehenden politischen Welt selbstbewusster positionieren und neu aufstellen. Dabei sind konstruktive Ideen der Mitgliedsländer gefragt sowie das Bewusstsein, dass nationale Lösungsansätze ihre Wirkung nur dann entfalten können, wenn sie die europäische und internationale Dimension einbeziehen. Koalitionsverhandlungen sollten auch dafür genutzt werden, sich für ein starkes, innovatives und krisenresilientes Europa einzusetzen.
Zehn grundlegende Überlegungen zur europapolitischen Neupositionierung:
1) Demokratie und EU leben
Ein starkes Bekenntnis zum demokratischen System und zur europäischen Zusammenarbeit ist Grundlage der österreichischen Politik. Darauf hat Bundespräsident Van der Bellen schon am Wahlabend verwiesen und den Rahmen für das Handeln klar abgesteckt: Respekt für die liberale Demokratie, den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.
2) Weiterentwickeln und besser machen
Je größer die Aufgaben, desto wichtiger wird es, die gemeinsame, europäische Handlungsfähigkeit zu verbessern. Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, adäquate Ressourcenausstattung und der Abbau von Doppelgleisigkeiten sind dafür Voraussetzung. Spielraum für Reformen innerhalb der bestehenden Verträge ist reichlich vorhanden.
3) Europäische Werte und Rechtsstaatlichkeit stärken
Die EU als Werte- und Rechtsgemeinschaft gilt es zu festigen. Etwa mit einer Stärkung des EU-Konditionalitätsmechanismus, aber gerade auch durch eine engere Zusammenarbeit mit mittel- und osteuropäischen Nachbarn unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH.
4) Erweiterung vorantreiben
Die schrittweise Integration des Westbalkans und die sukzessive Heranführung weiterer Kandidaten braucht energische Unterstützung. EU-Erweiterungen waren stets Erfolgsgeschichten, eine neue Erweiterungsrunde kann aber erst erfolgen, wenn beide Seiten bereit sind. Dem diesbezüglich kritisch bis indifferenten Meinungsbild sollte mit guten Argumenten und Dialog begegnet werden.
5) Europa muss sich rechnen
Die in sie gesetzten Erwartungen kann die EU nur dann erfüllen, wenn sie über ausreichend finanzielle Mittel verfügt. Die bisherige Struktur des EU-Haushalts muss modernisiert und an neue Prioritäten angepasst werden. Ein größeres EU-Budget sollte sich wiederum vor allem jenen Bereichen widmen, die einen konkreten Mehrwert für die Bevölkerung haben, etwa der massive Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze. Ein EU-Finanzrahmen auf der Höhe der Zeit würde auch Österreich zu Gute kommen und es noch stärker zum Nettogewinner machen.
6) Green Deal als Chance
Ein klares Bekenntnis zur sozial gerechten, grünen Transformation, mit dem gemeinsamen Ziel, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen und Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Investitionsoffensiven, Anpassungsstrategien, verstärkte Forschung und Innovation tragen dazu bei, den Standort zu stabilisieren.
7) Wettbewerbsfähigkeit stärken
Die EU muss in der Lage sein, ihre Interessen weltweit zu vertreten. Voraussetzung dafür sind ein funktionierender Binnenmarkt, eine solide wirtschaftliche und industrielle Basis durch technischen Fortschritt, gezielte Fördermodelle für strategische Infrastruktur, wachsende Handelsbeziehungen, die EU-Standards gewährleisten, sowie die Reform multilateraler Institutionen, um regelbasierte Kooperation zu fördern und Protektionismus einzudämmen.
8) Migration, Asyl und innere Sicherheit managen
Eine europäische Vorgehensweise mit klaren Regeln und Kompetenzen, Solidarität und fairer Lastenverteilung auf Basis des Asyl- und Migrationspakts. Keine Aufweichung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Prinzipien bei gleichzeitiger Förderung gezielter Zuwanderung. Mit verbessertem Schutz der EU-Außengrenzen sollte die Erweiterung des Schengenraums um Rumänien und Bulgarien zügig abgeschlossen werden.
9) Sicherheit und Verteidigung garantieren
Österreich bringt sich proaktiv als neutraler Staat in Sicherheits-, außenpolitischen und Verteidigungsfragen in der EU ein und setzt auf Peace Keeping und Konfliktbewältigung. Dafür braucht es Investitionen in die militärische und geistige Landesverteidigung, ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen, um Expertise auszubauen und begleitende Aufklärung über die sicherheitspolitische Lage und ihre Implikationen für Österreich.
10) Europa diskutieren
Wesentlich fürs Funktionieren der Europäischen Integration ist der ständige Dialog – initiativ, offen, kritisch-konstruktiv. Medien- und Demokratiebildung und vermehrte Einbindung der Zivilgesellschaft würden dies unterstützen und die gesellschaftliche Resilienz erhöhen. Best-Practice-Beispiele, wie die EU-Gemeinderäte und Kennenlernreisen für alle Jugendliche nach Brüssel und Straßburg, sollten ausgebaut und um die Förderung einer europapolitischen Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer sowie regelmäßige Bürgerdialoge ergänzt werden.
Das dreißigjährige Jubiläum des EU-Beitritts wäre ein idealer Zeitpunkt, über unsere Rolle zu reflektieren und den Kompass neu zu kalibrieren. Österreich war bei allen maßgeblichen Integrationsschritten mit dabei, hat sich so manches Mal ambivalent positioniert, letztlich aber nachhaltig von der EU-Mitgliedschaft profitiert.
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik
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