Die große Jobflucht

Die große Jobflucht
Die Menschen suchen nach Sinn – auch in der Arbeit

In der Krise zeigt sich, ob Beziehungen belastbar und von Dauer sind oder nicht. Millionen haben in den letzten Monaten ihrem Arbeitgeber gekündigt, weil sie sich in der Pandemie weder ausreichend geschützt und wertgeschätzt gefühlt haben. In den USA, wo der Trend begann, spricht man inzwischen von „The Great Resignation“.

Selbst erfolgreiche IT-Riesen sind betroffen. Als Microsoft jüngst seine Beschäftigten befragte, war der Schock groß: Mehr als jeder Dritte der rund 30.000 gab an, darüber nachzudenken, den Job zu kündigen oder sich beruflich verändern zu wollen. Die Arbeitszufriedenheit ist fast überall auf einem neuen Tiefststand.

Vor allem um die Generation der 30- bis 35-Jährigen aus dem Gesundheitssektor, der Pflege und der IT-Branche ist auf dem Sprung. Viele fragen sich, ob sie systemrelevant sind und ihre Arbeit Sinn macht.

Der im letzten Jahr verstorbenen US-Autor David Graeber schrieb in seinem bereits vor Corona erschienenen Buch „Bullshit Jobs“, dass rund jeder zweite Job ein „Bullshit-Job“ ist: einer, der nicht vermisst wird, wenn er wegfällt. Gemeint sind Tätigkeiten, die völlig sinnlos und unnötig sind, dass selbst der Arbeitnehmer ihre Existenz nicht mehr rechtfertigen kann und die eigentlich niemand braucht. Menschen, die solche Jobs ausüben, sind davon überzeugt, dass die Welt ohne sie nicht schlechter wäre. Graeber zufolge ist ein Großteil unserer Arbeit „Fake Work“ – gesellschaftlich ohne Nutzen.

Umfragen zufolge verbringen die meisten Arbeitnehmer zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit mit sinnfreien Tätigkeiten. Der durch die Generationen Y und Z vorangetriebene gesellschaftliche Wertewandel führt zu einer neuen Nachfrage nach sinnhafter Tätigkeit.

Die Themen Freizeit, Zeit für Familie und Freunde haben eine zunehmend hohe Bedeutung.

Die Jüngeren wissen, was Stress, Zeitnot und Burn-out mit ihren Eltern gemacht haben. Und sie können sich auf leer gefegten Arbeitsmärkten ihren Arbeitgeber aussuchen.

Künftig müssen sich nicht die Arbeitnehmer um Stellen bewerben, sondern die Arbeitgeber um Arbeitnehmer. Statt „Job Resignation“ hilft vielleicht ein „Job Crafting“: den eigenen Arbeitsplatz so zu gestalten und zu verändern, dass er besser zu den eigenen Bedürfnissen und Zielen passt.

Wie wäre es mit einer Zukunftsreise: Denken wir gemeinsam über neue Projekte, Inhalte und Kooperationen nach! Wie soll unser Leben in fünf Jahren aussehen, wenn wir uns verändert haben? Und was sind wir bereit, dafür einzusetzen? In der Arbeitswelt nach Corona werden Werte und Sinn wichtiger, Status und Karriere unwichtiger. Es geht um das gemeinsame Lösen von Zukunftsaufgaben. In wenigen Wochen beginnt ein neues Jahr. Wollen wir zurück in das alte Spiel oder wagen wir den Sprung in eine bessere Zukunft?

Daniel Dettling leitet das Institut für Zukunftspolitik

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