Der Maskenspagat von Venedig

Der Maskenspagat von Venedig
Vom Ischgl-Fieber zum Kunst-Fieber bei der Biennale

Venedig ist die seuchenerprobteste Stadt der Welt. Mehr als 20-mal schlich sich die Pest in die Serenissima, 1468 wurde die erste Quarantänestation eingerichtet. Touristen wunderte, wie strikt die Hygienevorschriften schon nach dem ersten Lockdown noch eingehalten wurden.

Die Venezianer wissen vom großen Sterben in einer Epidemie wie Österreicher vom Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. Auch in diesem Jahr schweißte das Maskentragen die Bewohner eher zusammen als dass es sie trennte. An den Anlegestellen vertäuten die Mitarbeiter nicht nur die Boote, sondern wiesen freundlich, aber bestimmt auf den nötigen Abstand zwischen den Passagieren hin.

Es klappte, bis die Besucher der Biennale in die Stadt einfielen. Seither ist eine befremdliche Parallelwelt entstanden. Venezianer sind durch Masken identifizierbar, viele Kulturtreibende und ihre Adabeis durch nackte Gesichter. Karnevalesk ist das nie, aggressionsfördernd schon. Die weiterhin geltende Maskenpflicht wird in den Pavillons und Gärten der Architektur-Biennale geradezu verhöhnt. Was ist das für eine Elite, die sich da trifft und haltlos ihre Masken fallenlässt? Und Abstand? Pfui. Umarmung folgt auf Umarmung, Bussi auf Bussi und „Hello, great to see you again, after such a long time“. Ich habe es jetzt doch endlich aus London, Paris, New York hierher geschafft. Und natürlich aus Wien.

Das Verhalten im österreichischen Pavillon sticht besonders ins Auge. Er liegt ja abseits wie Österrreichs Hauptstadt bis zum Mauerfall 1989, doch muss das sein? Besinnungslos lassen sich Kulturelitemitglieder bei der Voreröffnung eng beisammenstehend und mundschutzbefreit während ihren lang gezogenen Gesprächen fotografieren. Mundfaul ist da keiner, und rund um die Kanäle freut sich das Virus wie die zahllosen Mücken, die zum Sonnenuntergang wieder ihren Speichel in den Wunden hinterlassen, um möglichst unbemerkt frisches Blut aufsaugen zu können.

Die „Platform Austria“ proklamiert „die Notwendigkeit und das Recht der Mitsprache einer breiten Öffentlichkeit bei der Gestaltung künftiger Lebensräume“. Gerne, doch im tatsächlichen Leben wird da in einer Art Himmelbett prinzipienverachtend gekuschelt. Wie in einem kleinen Käfig im Freien. Freiheit halt. Maske, na geh.

Auch im deutschen Pavillon grassiert die selbstverliebte Überhöhung und ein demonstratives Gefühl der Unverwundbarkeit. Ein szenebekannter „Preview“-Besucher berichtet ungeniert von einer Bellini-Feier für 50 Leute bei den Deutschen. Und ja, das sei „etwas Illegales“. „War schon extrem“, meint er und lacht. „Wie werden wir gemeinsam leben?“, lautet das Biennale-Motto. Solche Expertinnen und Experten sollen vorangehen bei neuen Wohnungsformen und Lebensgestaltungen?

Hans-Peter Martin ist Publizist und ehemaliger Europa-Politiker.

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