Der Krieg frisst sich fest

Der Krieg frisst sich fest
Putins weitere Pläne hängen von der Einigkeit des Westens ab

Die Kampfhandlungen konzentrieren sich seit Monaten auf den Osten der Ukraine. Russische Truppen erobern mühsam und verlustreich Ortschaft für Ortschaft, erzielen aber keine großen Geländegewinne. An machen Orten geraten sie sogar in Bedrängnis, wie Scharmützel um Cherson oder Angriffe auf russische Militärbasen auf der Krim zeigen. Den ukrainischen Kräften gelingt es dank moderner westlicher Waffen immer besser, Russlands Vormarsch zu verzögern. Sie sind aber nicht in der Lage, weiträumige Gegenangriffe zu führen. Somit frisst sich der Krieg entlang der derzeitigen Frontlinie fest.

Russland scheint Mühe zu haben, seine Kampfkraft zu erhalten, die Verluste sind erheblich. Präsident Putin vermeidet aber eine Mobilmachung, weil damit sein rhetorisches Kartenhaus von einer „militärischen Spezialoperation“ unverzüglich einstürzen würde.

Aber was hat Putin tatsächlich vor? Der zu Beginn geplante Sturz der Regierung in Kiew ist vorerst gescheitert. Doch kann die Eroberung des Donbass allein die vielen Opfer rechtfertigen?

Es verstärkt sich der Eindruck, dass es Putin um mehr als die Ukraine geht. Sein Außenminister Lawrow hat vor Kurzem verkündet, dass Russland die Regierung in Kiew stürzen und weitere Gebiete erobern möchte. Derzeit hält sich Putin mit Aussagen zurück, es gefällt ihm, den Gegner im Ungewissen zu lassen. Vermutlich fühlt er sich auch stark, weil Europa und die USA viele Staaten nicht dazu bewegen konnten, sich den Sanktionen anzuschließen.

Russlands Propaganda von einer Gefährdung durch die NATO scheint in großen Teilen der Welt, vor allem in China, sogar auf Verständnis zu stoßen. Putin selbst hat im Juli 2022 die schmerzhaften Auswirkungen der Sanktionen angesprochen. Die wahren Folgen könnten sich erst im Herbst und Winter zeigen, wenn Vorräte aufgebraucht und hochwertige Technologiegüter nicht mehr verfügbar sein werden. Doch das kann ihn nicht stoppen.

Derzeit versuchen beide Seiten, durch militärische Gewalt Fakten zu schaffen. Beschränkt sich die Aggression auf die Ostukraine, möchte Putin die gesamte Schwarzmeerküste oder auch in Moldawien oder im Baltikum einmarschieren? In diesem Fall würde er um eine große Mobilmachung nicht herumkommen. Andererseits stellt sich die Frage, ob der Westen auch weiterhin bereit ist, die Ukraine im bisherigen oder vielleicht sogar größeren Ausmaß zu unterstützen.

Dabei sind diese beiden Faktoren verknüpft. Denn je besser es Putin gelingt, Europa zu spalten, desto größer dürften seine Allmachtsfantasien und Ansprüche werden. So schwer es daher auch fallen mag – Russlands Vormarsch muss gestoppt werden, will Europa einen Flächenbrand verhindern. Dafür ist auch ein kalter Winter in Kauf zu nehmen.

Walter Feichtinger ist Präsident des Center für Strategische Analysen (CSA).

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