Bitte erregen Sie sich!

Bitte erregen Sie sich!
Wie man daran verdient, uns zum Echauffieren zu verführen.

Antiaggressions-Training, erste Stunde: Bei Provokation erst mal durchatmen, bis zehn zählen, dann reagieren. Genau so funktioniert gerade der öffentliche Diskurs. Nicht.

Stattdessen kapitalisieren gierige Player aus Politik, Medien und Online-Plattformen die zutiefst menschliche Eigenheit, unser Hirn eher auf Automatik laufen zu lassen als die Vernunft zu aktivieren.

„Engagement“ heißt das Zauberwort, das Reichweite verschafft, Wähler*innen-Potenzial freisetzt und Werbegeld fließen lässt. Engagement in der Praxis bedeutet: Poste/Like/Share gleich, denke später. Pfeif auf die Fakten, nimm lieber den Skandal. Spar dir das Brücken-Bauen, das -Verbrennen ist lustiger.

Und vor allem: Bitte errege dich. Vor Ärger, Lust, Spaß – egal. Hauptsache, möglichst leidenschaftlich und emotional. Denn dann regnet es Profite für Social-Media-Giganten, Boulevard-Zampanos und Message-Macher.

Deren Algorithmen und Strategien sind nur darauf ausgerichtet, unsere Vernunft aus- und das Affekt-Handeln einzuschalten. Und die Verlockung wird kontinuierlich optimiert: Zehn fette Clickbaits testhalber rausgeschossen – mal sehen, worauf die Meute abfährt. Ist jeder einzelne Tastendruck nachvollziehbar, kennt die digitale Experimentierfreude am Objekt Mensch kaum Grenzen.

Wertvolle neurowissenschaftliche Erkenntnisse – etwa darüber, wie manipulierbar unser limbisches System ist, was die „Belohnung“ durch Klicks und andere unmittelbare Aufmerksamkeiten mit unserem Selbstwert macht oder wie man über die geschickte Steuerung von Zugehörigkeits- und Gegnerschaftsgefühlen Aggression triggert – werden dabei zu Formeln fürs Geldverdienen pervertiert.

Als Marodeure aktueller Miseren lenken Konflikt-Profiteure die Stimmung unserer Diskurse in Richtung Zerstörung.

Doch man muss das nicht wehrlos zulassen. Psychologie (und übrigens auch Geschichte) könnten vielmehr helfen, zu verstehen, was unser Miteinander besser macht. Sie könnten lehren, dass Demokratie vom tragfähigen Kompromiss lebt – und der wird eben nicht aus dem Affekt geboren, sondern aus der gesunden Nachdenkpause. Sie könnten vermitteln, dass angenehme Gesellschaft auf Inklusion basiert, nicht auf Polarisierung. Und dass noch kein Konflikt durch unflätiges Hinüberbrüllen beendet wurde. Mit so einem Schwenk von „Klick“ zu „Denk“ würden nicht Zuckerberg, Musk & Co. reicher, sondern wir. Reicher nämlich an Lebensqualität, an Problemlösungspotenzial, an Chancen für Ausbau und Erneuerung, … – die Liste wäre noch lang.

Der Succus ist kurz: Lassen wir uns nicht zum Echauffieren verführen. Daran verdienen die Falschen.

Elisabeth Pechmann ist Wirtschaftspsychologin und Kommunikationsberaterin, spezialisiert auf die Themen Marke, Krise & Change

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