Auch für die Taliban steht viel am Spiel

Auch für die Taliban steht  viel am Spiel
Sicherheit, Wirtschaft, internationale Kontakte: Das wird kompliziert

Die militärische Eroberung Afghanistans war der einfachere Teil der Übung für die Taliban. Denn jetzt stehen sie in der internationalen Auslage und müssen beweisen, dass sie auch „regieren“ und nicht nur unterdrücken können. Mit dem unrühmlichen Rückzug des Westens und der de facto Kapitulation der afghanischen Regierung beginnt eine neue Zeitrechnung. Die große Frage dabei ist, ob sie in die Vergangenheit oder in die Zukunft führt. Die Taliban-Führung ist derzeit bestrebt, sich international und bei der eigenen Bevölkerung als moderat und gesprächsbereit zu präsentieren.

Allerdings kursieren gleichzeitig Videos, wo in Menschenmengen geschossen und Frauen öffentlich geschlagen werden. Somit wird die Frage der Glaubwürdigkeit zur ersten großen Herausforderung und Probe für die neuen Herrscher. Denn widersprüchliche Bilder sind keinesfalls dazu geeignet, im Ausland als seriöser Gesprächspartner zu gelten und im Inland als legitime Regierung akzeptiert zu werden. Dazu kommt, dass sie zweitens für die Sicherheit im Lande sorgen müssen. Es war sicher einfacher, vielerorts Terroranschläge zu verüben, als nun als verantwortliche Regierung für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

Erste Proteste in einigen Landesteilen und die Formierung eines bewaffneten Widerstands durch den Tadschiken Ahmad Schah Massoud verweisen darauf, dass sich nicht alle widerstandslos der Macht der Taliban unterwerfen wollen. Auch Al Kaida und IS-Zellen sind noch aktiv. Ruhe, Stabilität und die Verhinderung von sicheren Rückzugsorten („safe havens“) für islamistische Terroristen werden aber gerade von den Nachbarstaaten, allen voran China, eingefordert. Ein wesentlicher Aspekt bei der Gestaltung der zukünftigen Beziehungen mit dem Taliban-Regime. Und drittens geht es um das wirtschaftliche Überleben eines Landes, das in hohem Maße auf internationale Unterstützung angewiesen ist. Eine alternative Finanzierung über Erlöse aus dem Drogenhandel, Steuern und Spenden von Unterstützern aus dem Ausland, vorrangig von der arabischen Halbinsel, wird bei weitem nicht reichen, die Bevölkerung zu ernähren und den Staat am Laufen zu halten.

Ein Staatskollaps wäre nicht nur für den Führungsanspruch der Taliban, sondern auch für die Nachbarstaaten ein Fiasko. Es ist davon auszugehen, dass sich die -Führung dieser Herausforderungen bewusst ist. Ihr weiteres Verhalten wird darüber Aufschluss geben, wie die neuen Herrscher tatsächlich einzustufen sind. Wenn es ihnen gelingt, die ärgsten Befürchtungen hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen zu zerstreuen, eine Massenflucht aus dem Lande zu verhindern und für Stabilität zu sorgen, können sie mit internationaler Duldung rechnen.

Denn nach den bitteren Erfahrungen der damaligen Sowjetunion und nunmehr der USA dominiert auf absehbare Zeit politischer Pragmatismus. Somit wird sich die Zielsetzung der internationalen Staatengemeinschaft bis auf Weiteres auf eine strategische Eindämmung beschränken.

Walter Feichtinger ist Präsident des Center für Strategische Analysen

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