Am Chat-Pranger

Am Chat-Pranger
Warum nicht jede Veröffentlichung zu rechtfertigen ist

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist nicht öffentlich. Dadurch sollen unter anderem die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen geschützt werden. Verfolgt man die Berichte einiger Medien, so vermutet man eine andere Grundregel. Denn das Veröffentlichen von Inhalten vertraulicher Chats aus Ermittlungsakten ist zum Teil journalistischer Alltag. Dem scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass es ein Recht auf fast völlige Transparenz auch auf Kosten verfassungsrechtlich durch die EMRK und die Europäische Grundrechtscharta (GRC) geschützter Grundrechte gäbe.

Doch die Medienfreiheit ist nicht absolut. Ihr steht der Betroffenenschutz gegenüber. Zum Kernbereich der Privatsphäre zählt unter anderem die individuelle Kommunikation. Vom Indiskretionenschutz sind nicht nur private Inhalte, sondern auch berufliche Nachrichten erfasst, so sie nach Intention des Verfassers nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Auch Mails, SMS oder Chat-Nachrichten fallen unter diesen Schutz. Dieses Selbstbestimmungsrecht sichert dem Einzelnen die Befugnis zu, selbst zu entscheiden, in welchen Grenzen persönliche Äußerungen öffentlich werden – das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Zwar ist auch der Schutz individueller Kommunikation – so er nicht die Intimsphäre betrifft – nicht absolut. Er ist mit der Medienfreiheit abzuwägen. Die Veröffentlichung von Umständen aus der Privatsphäre ist zulässig, wenn diese „in unmittelbarem Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“ stehen (Mediengesetz).

Der Maßstab ist streng: Nur dann, wenn ein Inhalt der Privatsphäre eine unmittelbare Relevanz für das öffentliche Leben hat, schlägt das Pendel zugunsten der Medienfreiheit aus. Daher ist es etwa zulässig, eine Chat-Nachricht zu veröffentlichen, die eine bis dato unbekannte mögliche vorsätzliche Straftat eines Spitzenpolitikers offenbart.

Aber nicht alle Kommunikationsinhalte aus behördlichen Chat-Auswertungen sind von derartigem Nachrichtenwert getragen: Die Frage, ob ein ehemaliger Parteichef seinen Vorgänger in privater Kommunikation gegenüber einem Dritten beschimpft hat, ist aus juristischer Perspektive ohne Nachrichtenwert.

Verdachtsberichterstattung hat „zugleich so schonend und zutreffend wie möglich“ auszufallen (Axel Beater). Wenn nicht ohnedies ein Fall des Identitätsschutzes (§ 7a Mediengesetz) vorliegt, so ist die Veröffentlichung vertraulicher (den Betroffenen identifizierender) Kommunikation nur dann zulässig, wenn eine Interessensabwägung dafür spricht. Bei dieser Abwägung ist auch zu prüfen, ob ein Chat nicht ohnedies aus einem Ermittlungsakt stammt. Denn das, was der Behörde bekannt ist, muss man nicht aufdecken, damit es untersucht wird. Das Führen von Strafverfahren ist Aufgabe der Justiz, die nicht von einer selbst ernannten „Medienjustiz“ ersetzt oder beeinflusst werden darf.

Peter Zöchbauer ist Rechtsanwalt in Wien.

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