Wenn an jeder Ecke Lenin grüßt

Eine Replik auf den Kommentar von Michael Hörl.

Woher rührt die Vorstellung, breite Massen wären nach links gerückt?

von Rafael Buchegger

antwortet Michael Hörl

In einem Gastkommentar für KURIER.at postuliert der Wirtschaftspublizist Michael Hörl das Ende der ÖVP, weil diese – aus seiner Sicht – falsche Gesellschaftsschichten vertreten und somit Österreich nach links getrieben habe. Mit sehr paradoxen Mitteln, wie man anfügen muss: So habe die von „ÖVP-Ministern erzwungene Selbstverwaltung“ der Schulen und Unis dazu geführt, dass sogar Attac-Gründer Christian Felber an der WU Wien lehren darf.

Es sei dahingestellt, ob ein absolutistisches Wissenschaftsressort wünschenswert wäre, das sämtliche Uni-Mitarbeiter des Landes auf die ideologische Nähe zu Herrn Hörl abklopft. Viel interessanter ist die Wahrnehmung, es gebe eine linke Hegemonie.

Diffuse Belege

Nun scheint Hörl kein großes Interesse daran zu haben, seinen Eindruck einigermaßen schlüssig zu belegen. An allen Ecken und Enden Marx, Lenin und Linksextreme zu verorten macht die Sache leider auch nicht gerade plausibler. Doch woher rührt die Vorstellung, breite Massen wären nach links gerückt?

An der Realität kann es kaum liegen. Seit über 30 Jahren gibt es im österreichischen Parlament eine rechte Mehrheit. Bei der vergangenen Nationalratswahl schaffte es neben den wirtschaftsliberalen Neos eine Gruppierung ins Parlament, deren Namensgeber das Barvermögen eines Menschen mit seiner Intelligenz gleichsetzt. Und dann wäre da noch der Erfolg der Anti-Ausländerpartei, die sich von „Sozialschmarotzern“ umzingelt sieht.

Die Angst vor der Durchschnittsfalle

Es ist noch nicht allzu lange her, als in Wien fremde Menschen miteinander die sanitären Einrichtungen teilten. Heute wird öfter denn je alleine geschlafen, alleine gegessen und, wie selbstverständlich, im eigenen Badezimmer geduscht. Es braucht kein Großvermögen mehr, um scheinbar unabhängig von einer Gemeinschaft zu leben. Zwang, Gleichmarei und „Durchschnittsfallen“ sind die logischen Urängste einer durch und durch individualistischen Gesellschaft, die selbst in Klimadaten Auswüchse des Sozialismus zu erkennen glaubt.

Zwar kann man es keinem Menschen zum Vorwurf machen, dass er notwendigerweise ein Kind seiner Zeit ist. Ein gewisses Bemühen, zwischen Wahrnehmung und Fakten zu unterscheiden, wird man allerdings schon erwarten dürfen. Wenn mit fortschreitendem Alter rundherum alles zu verschwimmen beginnt, beruht dieser Eindruck nicht auf schwindenden Konturen, sondern auf schwindender Sehkraft.

Sollte also das Spiel für die Volkspartei tatsächlich „aus“ sein, wie Hörl glaubt, dann liegt das wohl kaum am Kollektivismus von irgendwelchen „falschen Freunden“. Vielmehr liegt es am genauen Gegenteil: nämlich daran, dass es dem zeitgenössischen Individuum zusehends schwerer fällt, mit Menschen Solidargemeinschaften zu bilden, die nicht die exakt gleichen Werte und Interessen haben.

Rafael Buchegger ist Medienauswerter und Autor des Buches „Irren mit Hausverstand: Warum scheinbar einfache Lösungen und Alltagsregeln falsche Ratgeber sind“.

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