Tribüne: Im Zweifel für den Außenseiter

Gregor Seberg
Die Vorrunde der Weltmeisterschaft zeigt mir wieder einmal: Mein Herz schlägt für die Schwachen.

Als einer, dessen Stadion das Wohnzimmer ist, habe ich das Privileg, zwischen den österreichischen Kommentatoren und jenen aus Deutschland hin- und herzuwandern. Nach einigen Unterrichtsstunden mit Herbert Prohaska und Roman Mählich halte ich mich fußballkundlich bereits für ziemlich sattelfest und weiß nebenher aber nun auch, dass man vor dem Schlafengehen „Gute Nacht“ sagen muss.

Weniger mit ihren Gefühlen und mehr mit schnöder Ratio sind da die Kollegen aus Deutschland am Werk. Der kluge Holger Stanislawski versetzt mich mit seinen Analysen schlagartig in meine Schulzeit mit ihren eigenwilligen Mathematikstunden zurück.

Ich erinnere mich, dass ich dieses sexy Fach immer heiß liebte, mir aber in Situationen, in denen ich das Gelernte hätte anwenden können – etwa wenn es beim Schulskikurs hieß, berechne die Fläche des Kreises, den du in den Schnee gepinkelt hast – außer Pi nix einfiel.

Seit ich nun aber von den kundigen Analytikern gelernt habe, dass ein Spieler, während er mit Höchstgeschwindigkeit und mit einem Ball am Fuß in den gegnerischen 16er eindringt, gleichzeitig den perfekten Sitz seiner Frisur checkt, sich ein neues Tattoo für den Unterarm überlegt UND komplexeste mathematische Problemstellungen seine eigene Position auf dem Spielfeld betreffend lösen muss, knie ich vor Hochachtung.

Meine Sympathien

30 Ameisen überfallen einen Elefanten. Der schüttelt 29 Ameisen ab, diese rufen der einen verbliebenen Ameise zu: „Charly, würg’ ihn!“ Als Kind waren es diese Witze, die meine Sympathien für die Schwachen, für die Außenseiter geweckt haben. Natürlich gab es damals welche, die meinten, der Elefant solle diesen Charly doch einfach mit den Stoßzähnen aufspießen, aber bei denen brannte schon damals kein Licht im letzten Stock.

Bei der WM werde ich auf diese frühe Neigung zurückgeworfen. Spanien, Deutschland, Brasilien. Eh. Aber was sind diese Fußballgrößen im Vergleich zu Island oder Panama! Ich wechsle jeden Tag meine Lieblinge. Das ist das einzig Gute an der Nichtteilnahme von Österreich: Ich reise unbeschwert durch die Welt und bin überall heimisch. Aktuell Senegal.

Erst im Finale muss ich mich entscheiden. (Ich weiß auch schon für wen!) Und da kommen wir auch schon an einen wichtigen Punkt: Ich glaube, ich habe das Rätsel gelöst, warum wir nicht an die Weltspitze gelangen. Wir haben keine lässige Bezeichnung für unser Ensemble. „Die österreichische Nationalmannschaft.“ „Das Team.“ „Das Nationalteam.“ Klingt eh toll, aber auch nach dem Maggi-Gedeck am karierten Tischtuch. Da müsste etwas Fetzigeres her. Die Schweizer haben ihre „Nati“, die Engländer die „Three Lions“, aber wirklich ballesterisch kompetent klingt nur die „Selección“.

Ihr plädiere dafür, eine Namensänderung vorzunehmen und ab nun in Österreich von der „Selektion“ zu sprechen. Man kann das je nach Region natürlich in der Aussprache variieren. Von Selekkktion im Westen über Selektiaun in der Steiermark bis zum wunderschönen Sellllektion in Wien. Da ist für jede/n etwas dabei.

Gregor Seberg ist österreichischer Schauspieler und Kabarettist.

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