Freispruch in Falschaussage-Causa: Man möge Kurz beim Wort nehmen

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Der Ex-Kanzler wurde vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen. Alle Beteiligten haben offenbar den Baum vor lauter Wald nicht mehr gesehen.
Raffaela Lindorfer

Raffaela Lindorfer

Wir waren alle am völlig falschen Dampfer. Jahrelang wurde diskutiert und analysiert, was sich damals, 2018, rund um die Staatsholding ÖBAG hinter den Kulissen der türkis-blauen Regierung abgespielt hat, und ob Sebastian Kurz als Bundeskanzler dann im Sommer 2020 im parlamentarischen Untersuchungsausschuss gelogen hat.

Am Ende zählte nur ein einziges Wort. Kurz wurde im U-Ausschuss gefragt, ob er bei der Besetzung des Aufsichtsrates eingebunden war, und er sagte „Ja“.

Zugegeben: Man kann das leicht überhören, wenn es vier Stunden lang den Eindruck macht, als wolle sich der Kanzler von den bohrenden Fragen der Abgeordneten seine PR-Strategie des „neuen Stils der türkisen Volkspartei“ nicht zerschießen lassen.

Und es mag auch in den fünf Jahren danach untergegangen sein, in denen sich Kurz mithilfe von Top-Verteidigern und PR-Strategen als Opfer inszeniert und versucht hat, nicht nur die Opposition und die Medien, sondern auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Richter Michael Radasztics und Kronzeuge Thomas Schmid zu diskreditieren.

Kurz sagte in seinen Schlussworten bei der Berufungsverhandlung am Oberlandesgericht, er würde sich „wünschen, mit dem gleichen Maßstab behandelt zu werden wie alle anderen auch“. Fakt ist: Der Ex-Kanzler hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Sache derart aufgeblasen wurde.

Das Urteil war in der Form völlig überraschend. Der Senat hat den Blick wieder auf das Wesentliche gerichtet: Kurz stand damals, von Oktober 2023 bis Februar 2024, nicht vor Gericht, weil seine Einbindung bei Entscheidungen in Bezug auf die Staatsholding rechtswidrig gewesen wäre. Das war sie nicht. 

Und doch wurde an zwölf Verhandlungstagen das gesamte Prozedere auseinandergenommen, jedes Gespräch, jeder Chat genauestens hinterfragt. Sogar Zeugen aus Russland wurden per Video einvernommen – nur eine skurrile Episode von vielen.

Das alles war am Ende völlig egal. Es ging um eine einfache Ja-Nein-Frage, und die hatte Kurz damals mit „Ja“ beantwortet.

Alle Beteiligten schienen den Baum vor lauter Wald nicht mehr gesehen zu haben. Weder die WKStA noch der Richter – und auch nicht die Verteidiger, die völlig anders für einen Freispruch argumentierten.

Die Lehre daraus lautet, dass der Fokus scharf gestellt werden muss. Offen sind noch die Ermittlungen zur Inseratencausa. Hier geht es um die Frage: Wusste Kurz bzw. wollte er, dass der Boulevard auf Steuerzahlerkosten mit Inseraten verwöhnt wird, damit man ihn als ÖVP-Chef und Kanzler in ein gutes Licht rückt?

Der Freispruch ist ein Etappensieg, aber abgerechnet wird zum Schluss. Man möge Kurz beim Wort nehmen.

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