Genüsslich verloren

Thomas Glavinic

Thomas Glavinic

Als für Österreich die EM zu Ende ging.

von Thomas Glavinic

über das EM-Aus

Mittwoch, 22. Juni 2016, 8 Uhr früh, Schwechat. Mit meinem Freund Peter Hörmanseder, der Hälfte von maschek, steige ich ziemlich übermüdet in den Flieger nach Paris, der jeden von uns 560 Euro gekostet hat. Die meisten Passagiere sind mit rot-weiß-roten Dressen bekleidet, tragen Österreich-Hüte und verbreiten vorsichtigen Optimismus. Auch ich habe mich für Optimismus entschieden. Sogar für eher unrealistischen: Ich tippe auf 3:0 für Österreich. Freund Peter erkundigt sich, ob ich etwas eher Kräftigeres gefrühstückt habe, wittert jedoch seinerseits die Möglichkeit eines 1:0.

Bei der Landung in Orly wird von den Passagieren applaudiert. Jemand stimmt den blödesten Schlachtruf der Welt an, "Immer wieder, immer wieder ...", die meisten singen mit. Ich frage mich zum wohl hundertsten Mal, was dieser Text bedeuten soll. Was tun wir immer wieder?

Mit dem Zug ins Zentrum. Mittagessen auf der Terrasse eines Restaurants nahe des Triumphbogens mit Peter, meinem französischen Übersetzer und dessen Frau. Überall österreichische Fans. Sie sind nicht besonders laut. Da und dort isländische Fans. In Habitus und gesamtem Erscheinungsbild ein Kontrast zu den Rot-weiß-Roten, eher jüngere Leute, die meisten wirken wie Hipster, aber nett und intelligent.Nach dem Essen steigt die Spannung. Wir stauen uns mit dem Taxi Richtung Saint-Denis. Der Taxifahrer wünscht uns einen Sieg. Wir wünschen ihm noch ein gutes Geschäft.

Vor dem Stadion Verbrüderung der isländischen und österreichischen Fans. So soll es sein. Eine EURO soll wie eine WM ein Fest des Fußballs sein, ein Fest für uns alle, die Menschen, die auf diesem Kontinent leben, ein Anlass zu feiern, dass wir zusammengehören und Freunde sind und Gegner nur auf dem Platz. Besonders lustig die Szene, als Isländer und Österreicher gemeinsam "Go hoooome in a body bag, go hooooome in a body bag" singen und dabei ausgelassen lachen. Die Isländer meinen es sichtlich nicht ernst, die Österreicher, vermutet Peter, verstehen nicht, was sie mitsingen.

Die Kontrollen: lax. Freiwillige werfen einen Blick in meine Tasche. An jedem Flughafen der Welt werde ich genauer gefilzt. Aber mir ist das recht, so können wir uns früher an einem der Stände laben, wo Bier mit einem Alkoholgehalt von 0,5% für sieben Euro ausgegeben wird. Um die Wirkung eines normalen Biers zu erreichen, müsste man etwa 50 Euro hinlegen und sehr, sehr viel trinken. Eine kluge Maßnahme gegen Hooligans? Ich halte volltrunkene Schläger für die vielleicht geringere Gefahr, die stolpern über die eigenen Füße und schlafen ihren Rausch auf irgendeiner Bank aus. Außerdem empfinde ich Bierverbot beim Fußball als Blasphemie.

Ernüchterung

Das Spiel beginnt. Marcel Koller scheint sechs Defensivspieler aufgestellt zu haben. Zwischen Verteidigung und Offensivspielern ist oft eine Lücke von vierzig Metern. Aber womöglich verstehen wir bloß eine raffinierte Taktik nicht. Der Spielverlauf spricht allerdings nicht dafür. Auf den Rängen macht sich Ernüchterung breit. Auf die Entsetzen folgt. Die erste Hälfte deutet an, dass wir hier Sterbebegleitung betreiben.

In der Pause wünschen wir uns ein Fass anständiges Bier.

Die zweite Hälfte sieht die österreichische Mannschaft immerhin engagiert. Wir sind mehrfach vor dem Kollabieren. Nach dem Ausgleich keimt noch einmal Hoffnung auf, aber das zarte Pflänzchen wird von Traustason kurz vor Abpfiff zertreten.

Abendessen im Zentrum. Richtiges Bier. Viel geredet wird nicht. Die Nacht verbringen wir auf der Straße. Trinken Champagner an einem Fluss, umgeben von sympathischen jungen Franzosen. Die Begegnungen mit den Menschen, die wir in dieser Nacht treffen, all die höflichen, freundlichen, weltoffenen Männer und Frauen, alte wie junge, die sind der Sieg, den wir uns für unser Team gewünscht haben. Vielleicht der wichtigere Sieg. Das kurze Gefühl, doch zu einer großen Familie zu gehören.Heimflug um 6.20 Uhr. Es wird nicht mehr gesungen.

Trotzdem: Danke, Paris!

Danke Franzosen, danke, Isländer, danke den Menschen, die uns 24 schöne Stunden beschert haben!

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