Eine Atempause für Europa, aber keine Zeit für Stillstand
Die Neuaufstellung der Union muss erst mal gelingen
Untergangspropheten hatten in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Analysen ohne Schreckensszenarien waren praktisch nicht existent. Je apokalyptischer, desto besser. Dabei waren die Meinungen über das Ableben von EU und Euro allesamt weit gefehlt. Von den multiplen Krisen der EU, die zu ihrem Bruch hätten führen sollten, ist nicht viel geblieben. Brexit-Entscheidung und Trump-Wahl entfachten weder einen Domino-Effekt weiterer EU-Austritte noch einen unaufhaltsamen Siegeszug der Nationalisten. Im Gegenteil: Die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft ist seither gestiegen. Wahlen in Österreich, den Niederlanden und Frankreich brachten zwar Stimmenzugewinne für EU-skeptische Parteien und Positionen, pro-europäische Haltungen konnten sich dennoch durchsetzen.
Unterschiede
Mehr als eine Atempause ist es allerdings nicht und die Neuaufstellung der Union muss erst mal gelingen. Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Mitgliedstaaten sind dabei die größte Hürde.
Sicherheitsbedürfnis
Erwartet wird nicht weniger als eine Gemeinschaft, die Sicherheit bietet, die Grundlagen für Wohlstand schafft und schlichtweg funktioniert, anstatt sich in einzelstaatlichen Partikularwünschen aufzureiben. Das neue deutsch-französische Tandem wäre gut beraten, hier als Integrationsmotor stärker als bisher einen gemeinsamen Nenner zu fördern.
Potenzial und Akzeptanz für gemeinsames Handeln gibt es, vor allem, wenn es um die Förderung von Wachstum und Beschäftigung geht. Wobei die Wege dorthin unterschiedlich gesehen werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass gerade auch Integrationsverlierern geholfen wird. Denn hohe Arbeitslosigkeit, eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung und unfairer Wettbewerb vor allem im Niedriglohnsektor betreffen nicht wenige.
Und auch die Skepsis gegenüber neuen Freihandelsabkommen nährt sich durch wirtschaftliche Verzerrungen. Um die Konjunktur in Europa unterstützen zu können, braucht die EU aber nicht nur ein Budget, das diesen Namen auch verdient, sondern eben auch eine Neujustierung ihrer politischen Prioritäten. Gleichzeitig muss der Union als globalem Akteur ein besserer Ausgleich zwischen interessens- und wertebasierter Außen- und Handelspolitik gelingen.
Flüchtlingsproblematik
In der zentralen Frage der Asyl- und Migrationspolitik schließlich teilen die EU-Länder zumindest den Wunsch nach sicheren Außengrenzen. Und auch über wirtschaftliche Impulse und die Bereitstellung von EU-Hilfe vor Ort, legalen Wegen nach Europa und einer gerechten Aufgaben- und Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtenden muss rasch Einvernehmen erzielt werden, will man das sich bietende Momentum nicht wieder verspielen.
Kein leichtes Unterfangen.
Aber mit Brexit und neuem Protektionismus in den USA erlebt die EU eine Zäsur, die für Reformen genutzt werden sollte. Was dabei helfen könnte? Jedenfalls weniger Lust am Untergang und nationale Nabelschau, dafür mehr europäische Verantwortung und inhaltliche Auseinandersetzung.
Mag. Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.
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