Ein meist leider wirklich guter Kurz, ein Hauch von Glas-Kinn

Ein meist leider wirklich guter Kurz, ein Hauch von Glas-Kinn
Der Kanzler glänzte bei Armin Wolf und ist auch sonst fast immer trittsicher. Warum das auch ein Problem ist

Ich habe lange überlegt, ob ich das Wort „leider“ verwenden soll. Warum ich es tue: Der im Anerkennen einer Leistung immer zögerliche Österreicher verwendet diese Formulierung gerne, wenn etwas wirklich gut ist und man es einfach (leider) zugeben muss. Es ist also eine Form des höchsten österreichischen Kompliments.

Ich verwende es aber auch, weil dieses „wirklich gut sein“ von Politikern oder Politikerinnen eine Gefahr birgt. Inzwischen ist die Sinowatz- Feststellung „die Partei ist alles“ der Erkenntnis gewichen, dass in einer digitalisierten Welt die Führungspersönlichkeit alles ist. Nicht Parteien kapern sich Führungspersonen, sondern Führungstalente Parteien. Die Folge ist, dass „demokratische Autokratien“ – wie das Magazin Foreign Affairs vor einiger Zeit eindrucksvoll dokumentierte – als politische Führungsform von der Digitalisierung deutlich profitiert haben.

Komplexe, digitalisierte Gesellschaftssysteme sind für den sanften Handschuh von Social Media und Online-Manipulation sehr anfällig und die Grenzen sind schwammig. Solange diese Grenzen aber von einer unabhängigen Justiz und idealerweise auch unabhängigen Medien geschützt sind, sollte das für eine Demokratie aushaltbar sein.

Warum bin ich der Meinung, dass Kurz wirklich gut ist? Weil er zum Beispiel die David-Rolle in Brüssel überzeugend gegeben und den Goliaths Macron und Merkel gezeigt hat, dass die EU nicht nur aus Deutschland und Frankreich besteht (was für die EU überlebenswichtig ist) und er dies auch so gewieften Interviewern wie Armin Wolf überzeugend erklären konnte. Weil er – anders als viele andere Politiker und auch Journalisten – die Materie in den Details kennt, versteht und auch kommunizieren kann.

Das „ZiB 2“-Interview mit Armin Wolf war für mich – um bei dieser Form des österreichischen Kompliments zu bleiben- eine „leider“ wirklich spannende Auseinandersetzung: Der immer gut vorbereitete Wolf, der einfach jeden Interviewpartner – solange es nicht gerade Christian Drosten ist – zu Fall bringen will und Kurz, der ruhig und mit viel Detailwissen statt zu polemisieren argumentierte. Politiker, die es schaffen, die Rollen zu tauschen, indem sie Journalisten polemisieren lassen und selbst in der erklärenden, argumentierenden Rolle bleiben, sind einfach (leider) wirklich gut.

Und dann kam der Hauch von Glas-Kinn. Er argumentierte in einem Puls24-Interview auf eine bemüht provokante Frage nicht (hatte die Interviewerin tatsächlich von einem Medium wie der Zeit Lob erwartet?), sondern polemisierte, warum die Interviewerin statt fremde Quellen zu zitieren nicht ihr eigenes Hirn anstrengte. Bumms. Auch wirklich gute Kommunikatoren sind also nur meist, aber nicht immer wirklich perfekt.

Gott sei Dank.

Worum geht’s dann eigentlich? Ganz simpel, um das, was alles andere zuvor eher verblassen lässt. Nämlich um die Frage, warum der Sender diese Passage aus dem Interview entfernte. Ob aus Eigenem (wir wollen nicht zeigen, dass der Bundeskanzler uns kritisiert oder auf uns böse ist) oder wegen einer Intervention. Beides wäre schlimm, Ersteres ein Armutszeugnis an Medienselbstverständnis.

Rudi Klausnitzer ist Medien- und Kulturmanager sowie Berater. Er gründete unter anderem  Ö3, leitete die Vereinigten Bühnen Wien und die Verlagsgruppe News.

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