Die Jahrhundertchance für die Grünen

Daniela Kittner
Nach 1945, im damals neuen Österreich, zogen ÖVP und SPÖ die Lehren aus Bürgerkrieg und Austrofaschismus: Keine Partei sollte überproportional im Staatsapparat vertreten sein, ein Parteiengleichgewicht sollte die Demokratie festigen. So wurde der Proporz erfunden. Schon damals hatte er unerwünschte Nebenwirkungen. Weil die SPÖ über zu wenige Akademiker verfügte, sah sie über eine Nazi-Vergangenheit ihrer Günstlinge oft hinweg. Das war der Grund, warum es Jahrzehnte später noch im Bund Sozialdemokratischer Akademiker braune Flecken aufzuarbeiten galt.
Durch die zwei absoluten Mehrheiten hindurch – Ende der 60er-Jahre der ÖVP, 1971 bis 1983 der SPÖ – mag der Proporz eine gewisse stabilisierende Wirkung gehabt haben. Die Wirtschaft war damals noch eine „National-Ökonomie“: hoher Staatsanteil, geschützte Märkte. Rote Arbeitnehmer und schwarze Arbeitgeber parlierten in der Sozialpartnerschaft und im Generalrat der Nationalbank über Preise, Löhne und Geldpolitik. Die Pensions- und Krankenversicherung, das Schulwesen, Polizei und Heer, die staatlichen Banken, die Verwaltung, die staatlichen Versorgungsbetriebe und Industrien, die Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser und sogar die Geheimdienste waren mit roten und schwarzen Parteigängern besetzt.
Welch Fülle an Posten konnten die Parteien da ausschütten! Das machte sie attraktiv und mächtig:
Die SPÖ war eine Zeit lang die an Mitgliedern stärkste Parteiorganisation Europas. Die ÖVP ihrerseits verlor zwar meistens die Wahlen, machte das verlorene Terrain aber im Handumdrehen beim Postenbesetzen wieder wett.
Seilschaft zählt
Diese Welt des geschlossenen österreichischen Systems gibt es nicht mehr. Die staatlichen Banken sind untergegangen, die Staatsindustrie ist privatisiert, die restlichen teil-staatlichen Unternehmen müssen im Wettbewerb bestehen. Auch Betriebe der Daseinsvorsorge müssen kundenorientiert arbeiten, sie können es sich nicht leisten, von unfähigen Günstlingen geführt zu werden. In einer Welt, in der sich von den Schülern angefangen jede und jeder internationalen Benchmarks, Pisastudien und Produktivitätsvergleichen stellen muss, ist eine Personalrekrutierung wie in den 1950er-Jahren vielleicht doch etwas outdated.
Die Politiker predigen den Jugendlichen, sie sollen sich bilden und studieren, dann stünden ihnen alle Chancen offen. Sie sagen nie dazu, dass für jeden besseren Job im Einfluss der Politik eine Seilschaft vonnöten ist. Zum Glück hat Österreich inzwischen eine starke Privatwirtschaft, wo sich eigenverantwortliche Menschen entfalten können.
Die Grünen haben jetzt jedenfalls die Jahrhundertchance, das zu tun, was die FPÖ zwar stets versprochen, aber nie gehalten hat: zumindest auf Bundesebene das Postenschachern abzustellen. Wenn ihnen das gelingt, wäre ihre Leistung als Regierungspartei historisch.
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