Der Sieg und die Schande

Der Sieg und die Schande
Russland feiert sich und seine bis heute blutige Geschichte. Den politischen Erben Stalins nicht zu reizen, wird das Blut nicht stoppen.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Morgen feiert Russland wie jedes Jahr mit großem Pomp den „Tag des Sieges“: die Befreiung Europas vom Grauen des Nationalsozialismus durch die Rote Armee Stalins. Die Alliierten waren zwar auch dabei, aber das ist aus russischer Sicht eine Fußnote der Geschichte.

Heuer ist der „Tag der Freiheit“ ein Tag der Schande. Wenn russische Vernichtungswaffen und Atomraketen nicht nur über den Roten Platz in Moskau, sondern auch durch das von russischen Truppen niedergemetzelte Mariupol rollen, wenn Wladimir Putins Massenmord als Bühne für die Feier des russischen Heldentums dient, dann ist das ein neuer Tiefpunkt in der russischen Geschichte.

Nur ein neuer. Und Tag der Schande war das Feiern der russischen Militärmacht alle Jahre schon.

Dieselben Truppen, die Gott sei Dank und unter großen Opfern die Nazis besiegten, haben Jahre davor Polen überfallen, das Baltikum nahm Stalin gleich mit. Sie haben in der Zeit der Besatzung nach ’45 ihren Sieg mit Vergewaltigungen und Plünderungen gefeiert (woran erinnert das bloß aktuell?).

Die Sowjetunion machte sich später Ungarn und die Tschechoslowakei militärisch gefügig. Und nach ihrem Zusammenbruch setzte der angeblich so westorientierte Wladimir Putin diese Tradition fort: Krieg in Tschetschenien, Georgien, in Syrien, schließlich die Einverleibung der Krim. Dass er die Ukraine überfallen würde, war für viele – vor allem für die, die mit ihm ihre (Gas-)Geschäfte machten – nicht vorhersehbar. Hätte man gewollt, hätte man gesehen.

Jetzt gibt es Stimmen, die mahnen, Putin keinen Anlass zu weiterer Aggression zu geben. Der sogenannte Emma-Brief von Alice Schwarzer & Co. schiebt denen, die die Ukraine gegen den russischen Aggressor unterstützen, letztlich die Verantwortung für einen allfälligen Atomkrieg zu. Wladimir Putin, der mit seinem Krieg feststecke, sei ein Ausweg zu bieten, den er nicht als Niederlage werten müsse.

Ja fein, wenn es den gäbe. Aber Putin ist in all seinem Handeln ein politischer und geistiger Enkel des in Russland (unter Putin) ungehemmt gehuldigten Josef Stalin. „Was 1920 geschah, muss nicht immer so bleiben“, sagte der Diktator, ehe er sich seinerzeit das Baltikum wieder einverleibte – auch das erinnert uns an Aktuelles, oder?

Ein Stalin in seiner hegemonialen Sucht samt der Vernichtung von Millionen Menschen wäre durch keinen „Ausweg“ zu bremsen gewesen. Und was, wenn die Welt, die Alliierten und die Sowjetunion, bei Hitler gewarnt hätte: „Nur nicht weiter reizen, wir müssen ihm einen gesichtswahrenden Ausweg bieten“ – dann hätte es den „Tag des Sieges“, der die Welt von den Verbrechen des Nationalsozialismus befreit hat, nicht so bald gegeben.

Jetzt braucht es eine Strategie, die Welt von Wladimir Putin zu befreien.

Der Sieg und die Schande

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