Der neue Lehrplan, eine vergebene Chance

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Wenn namhafte Experten vom neuen Lehrplan nicht überzeugt sind, wie geht es dann erst Eltern, Lehrern und Schülern?
Christian Böhmer

Christian Böhmer

Was müssen Schüler lernen, damit ihnen später ein selbstbestimmtes Leben gelingt?

Seit 2018 hat sich das Bildungsministerium mit dieser elementaren Frage beschäftigt. Die „Lehrpläne“, also der Kanon all dessen, was gelehrt und gelernt werden soll, wurde überarbeitet.

Am Montag lief die Frist für fachliche Stellungnahmen ab. Und was zentrale Fächer wie „Wirtschaftsbildung“ oder „Digitale Grundbildung“ angeht, hat das Ministerium – wohlwollend betrachtet – eine Chance vergeben; man könnte auch sagen: Es ist gescheitert.

Bleiben wir exemplarisch beim Unterrichtsgegenstand „Geographie und wirtschaftliche Bildung“: Laut Lehrplan sollen im Fach die mündig handelnden Menschen in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Umwelt sowie dabei relevante räumliche und zeitliche Zusammenhänge in den Mittelpunkt gerückt werden.

Glaubt man führenden Wirtschaftspädagogen bzw. der Rektorin der Wiener Wirtschaftsuniversität, so ist der neue Lehrplan mit Blick auf diesen Anspruch „erstaunlich substanzlos“. In einer vernichtenden Stellungnahme bemängeln die Experten, dass zentrale Inhalte „gänzlich fehlen“.

Fragen wie „Was passiert, wenn ein Markt versagt?“ oder „Wie gehen Familien mit Strom-, Gas- und Versicherungsrechnungen um?“ sind im Herbst des Jahres 2022 für jede Familie von fundamentaler Relevanz.

Im neuen Lehrplan für „wirtschaftliche Bildung“ finden sie sich trotz allem nicht abgebildet.

Nun könnte man einwenden: Aber das war genau nicht die Idee! Und tatsächlich muss man einräumen: Die Vorgabe der Reform bestand darin, dass die Lehrpläne eben nicht detailliert ausfallen, und dass sie eben nicht taxativ Inhalte auflisten, sondern fixieren, was ein Kind bzw. Teenager können muss, will er oder sie die Klasse abschließen. Im neuen Lehrplan-Entwurf liest sich das etwa so: „Die Schüler können Aspekte von Armut und Reichtum analysieren.“

Der Gedanke der „Kompetenz-Orientierung“ hat viel für sich. Und es ist zweifelsohne ein Fortschritt, wenn sich Lehrkräfte künftig darauf konzentrieren, welche Fähigkeiten sie ihren Schülern beibringen, anstatt stur ein vorgegebenes Pensum abzuarbeiten.

An der grundlegenden Problematik des neuen Lehrplans ändert das aber wenig. Und diese lautet: Wenn namhafte Experten und Institutionen – von der Industriellenvereinigung, über die Arbeiter- bis hin zur Wirtschaftskammer – nicht wirklich von diesem Lehrplan überzeugt sind, wie sollen es dann Eltern, Lehrer und Schüler sein?

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