Denken und Fühlen in Einklang bringen

Das ist für jeden Menschen wichtig. Aber für die Demokratie wird das noch zur Überlebensfrage.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

„Das Gehirn ist das Organ, mit dem wir denken, dass wir denken“, schrieb der amerikanische Autor Ambrose Bierce (1842–1914). Diesen Satz kann man als Beleidigung empfinden, wo wir doch alle auf unsere Denkleistungen stolz und überzeugt davon sind, logisch zu handeln. Die Psychologin Elisabeth Gruber mahnt uns denn auch in der KURIER-Beilage Mein Sonntag:„ Der Mensch ist mehr als der Spielball unserer Gefühle.“ In der Tat heißen wir Homo sapiens, weil wir denken, kombinieren und planen können. Aber Teil unseres Gehirns ist auch das limbische System, wo Bilder gespeichert und Gefühle gesteuert werden.

Es war ein weiter Weg von der griechischen Demokratie der Minderheit der männlichen Bürger über alle Formen der Diktatur bis zum liberalen Rechtsstaat unserer Tage. Schon in den attischen Volksversammlungen oder im germanischen Thing waren die besseren Redner mit den emotional stärkeren Argumente im Vorteil.

Die Aufklärung sollte dann den endgültigen Sieg der Vernunft bringen, dazu die Toleranz und schließlich die universalen Menschenrechte. Voraussetzung dafür war der Buchdruck, die Verbreitung von Fakten und Erkenntnissen in geschriebener Form.

Bilder erzeugen Gefühle, Lesen fördert Denken

Natürlich spricht ein großer Rhetor auch die Gefühle seiner Zuhörer an, mit ausgewählten Bildern. Aber die zunehmend prägenden Medien sind fast nur mehr von Bildern, meist bewegten, bestimmt. Dabei wissen wir nicht einmal, welche richtig sind und welche gefälscht. In der Flüchtlingskrise sind auf Facebook regelmäßig Filme aufgetaucht, die die Gefährlichkeit von Ausländern bewiesen sollten, aber oft gefälscht waren. Die Technik ist inzwischen so weit, auch jedes bekannte Gesicht eines Politikers mit Reden zu unterlegen, die diese Person nie gehalten hat. Natürlich kann man auch Texte fälschen, aber die wirken eben nicht so massiv wie Bilder. Bilder erzeugen Emotionen, Lesen regt zum Nachdenken an, aber Lesen wird immer unwichtiger. Wer mit einem Smartphone umgehen kann, kommt inzwischen recht gut durchs Leben, ohne überhaupt lesen zu können.

Die Werbung hat das verstanden, aber niemand beutet diese Effekte so effizient aus wie populistische Politiker. Wer Trump, Erdoğan oder auch dem Venezolaner Maduro zuhört, erlebt, wie vor allem Feindbilder erzeugt werden, Bilder eben, die die Menschen aufhetzen sollen. Fakten hingegen werden als „Fake News“ hingestellt, was umso gefährlicher wird, wenn es um den Klimawandel, eine Währung oder Minderheiten geht. Der türkische Präsident wird lernen müssen, dass er zwar Anhänger dazu bringen kann, ihre iPhones zu zerstören, aber den Lirakurs nicht zum Steigen bringt. Nur irre Fanatiker wechseln ihre wertvollen Dollar noch um.

Eine Gesellschaft, in der Wissenschaft und Fakten geleugnet werden, wo Politiker nur mehr an Emotionen appellieren, ist auf dem Weg, ihre Freiheit zu verlieren. Eine Demokratie aber kann per definitionem nur liberal sein.

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