Demokratien müssen lernen, mit dem Social-Media-Hass umzugehen

Eine der inhaltslosesten Phrasenhüllen der Pandemie ist jene, dass man mit dem Virus leben lernen müsse. Es lässt sich leichter ein Pudding an die Wand nageln, als in Erfahrung bringen, was das genau heißen soll. Insbesondere für die auf absehbare Zeit ungeimpften Kinder.
Anderswo aber stimmt die Phrase, zumindest so halb. Denn womit wir wirklich leben lernen müssen – als Gesellschaft, als Einzelner –, ist die tägliche Dosis Gift, die aus den Sozialen Medien in die Gesellschaft schwappt. Man kann hierfür, leider, unzählige Beispiele anführen; nehmen wir die aktuellsten: Die Partnerin eines Politikers bekommt ein Kind – es folgen auf Glückwünsche gleich Hass und Häme. Oder: Fußballer verschießen Elfmeter – und werden übelst rassistisch beschimpft.
Es gibt gute Gründe, Soziale Medien zu nützen. Vor allem Twitter, Facebook und Telegram sind aber auch Megafone für den Narrensaum. Und die von dort verstärkte Narretei ist für manche ansteckend: Auch die persönlich nettesten und klügsten Menschen sind nicht immun gegen eine innere Radikalisierung, egal, in welche Richtung.

Die viel beschworene Meinungsfreiheit auf diesen Plattformen erschöpft sich allzu oft darin, jedem Andersmeinenden verbal gegen das Schienbein zu treten. Und sich dann lautstark und bigott zu beklagen, wenn man selbst eine gegen das Schienbein bekommt.
Jetzt könnte man das alles Einerlei finden, den Abtausch von Beschimpfungen in der Onlinewelt als Beschäftigungstherapie für Gelangweilte mit starker Meinung abtun. Das greift aber bei Weitem zu kurz. Die Online-Grabenkämpfe beeinflussen längst Medien, Politiker, Entscheidungsträger und Problemverwandte – und damit die Gesellschaft – mehr, als diese sich eingestehen. Nicht nur Boulevard und Populisten, sondern alle greifen die Onlinegiftspritzereien willig auf. Und vergiften dadurch dringend nötige Diskussionen etwa über Zuwanderung, für die es kühle Köpfe bräuchte. Und schon sind wir in jenem Social-Media-Teufelskreislauf, der die Gesellschaft mit Hass und Missmut auflädt.
Demokratien müssen lernen, mit Social Media zu leben. Diese Hydra lässt sich mit Gesetzen, Klagen oder Klarnamenpflicht zähmen, aber nicht erschlagen. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung, souveräner und weniger aufnahmebereit mit dem Hass umzugehen.
Das heißt: radikale Positionen an den Rändern zu lassen, auch wenn der Algorithmus diese noch so verstärkt. Sich nicht vom Verweis auf die Meinungsfreiheit in die Ecke treiben zu lassen: Meinungen können so bescheuert sein, dass sie zu äußern kein demokratischer Wert ist. Und wir müssen beschließen, den Social-Media-Hass nicht unser Miteinander bestimmen zu lassen – zum Nutzen für die Demokratie.
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