Dass politische Entscheidungen zunehmend knapper werden, zeigen jüngste Urnengänge: In Brasilien setzte sich mit dem linken Lula da Silva die vermutlich weniger schlimme Alternative gegen Jair Bolsonaro durch – mit rund 51:49 Prozent. In Israel und Dänemark werden heute ähnlich knappe Rennen zwischen verschiedensten Links- und Rechtsblöcken erwartet. Grundsätzlich braucht man für Mehrheiten immer öfter seltsame Splittergruppen, um die 50-Prozent-Marke zu überschreiten (siehe Schweden), Regierungen kippen daher öfter als früher. Auch wichtige Volksabstimmungen enden immer häufiger hauchdünn: Der Brexit wurde von den Briten 52:48 entschieden, für den Verbleib Schottlands beim Königreich waren 2014 auch nur 55 %. Und in Österreich? In aktuellen Umfragen kratzt eine links-liberale Ampelmehrheit von Rot, Grün und Pink mal an der 50-Prozent-Marke. Selbst Rot-Schwarz käme derzeit nicht darüber.
Was all diese Beispiele eint, ist, dass am Ende rund die Hälfte der Bevölkerung als Verlierer zurückbleibt, zumeist auch, weil, wie soeben in Brasilien, die Wahlkämpfe schmutzig und unter der Gürtellinie ausgetragen werden. Das spaltet die Gesellschaft weiter. Die Sozialen Medien tragen Erhebliches dazu bei. Hier radikalisieren sich Gruppen, die zum Teil unter der Anonymität des Internets oder auch bei vollem Bewusstsein kanisterweise Öl ins Feuer gießen und der anderen Seite die Meinung verbieten wollen. Unter Elon Musk als Twitter-Chef könnte das schlimmer werden. Denn nichts ist einfacher, als bei komplexen Themen durch falsche Simplifizierung eine Masse gegen andere aufzuhetzen. Themen wie Migration, Atomkraft, Vermögenssteuer oder die Vertrauenswürdigkeit von Thomas Schmid eignen sich besser als andere. Dabei wäre es leicht, bei der Argumentation der Gegenseite auch noch beim zweiten Satz zuzuhören und darüber nachzudenken.
Die Radikalisierung des politischen Dialogs ist gefährlich. Aus verrohten Debatten werden Hasskampagnen, aus diesen gewalttätige Angriffe. Diese zu verhindern, ist unser aller Aufgabe, beginnend bei der Wortwahl gegenüber dem politisch Andersdenken. Die aufgeheizten kommenden beiden Tage im Parlament und im U-Ausschuss werden zeigen, wie es um den Dialog bestellt ist, in der Politik, den Medien, an den Stammtischen. Und vielleicht fragt sich so mancher Wähler auch, ob wir derzeit keine anderen Sorgen haben, die „arschwichtiger“ wären.
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