Das G’riss um Nahost

US-Präsident Joe Biden reist drei Tage in den Nahen Osten
Im Namen von Gas, Öl und neuen weltpolitischen Verwerfungen ist die Region plötzlich wieder im Fokus
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Und plötzlich wieder Nahost. Nein, dass der österreichische Bundeskanzler mit großer Entourage nach Israel gereist ist (und im Eiltempo weiter in den Libanon und nach Zypern), ist nichts Ungewöhnliches: Die Beziehungen zwischen Jerusalem und Wien sind längst wieder ausgezeichnete, der Nehammer-Vorvorgänger Kurz lebte seine Israel- und Benjamin-Netanjahu-Verbundenheit besonders intensiv – und die einzige Frage, die man stellen darf, ist, wie sinnvoll in Tagen wie diesen so eine Blitzvisite ist (ja, ja, es geht auch ein bisserl um Gas).

Aber sonst war der Nahe Osten weltpolitisch zuletzt ein wenig aus dem Fokus. Syrien, der Bürgerkrieg, der die Welt erschütterte, ist vergessen (und das alte Regime sitzt fester im Sattel denn je); der Krieg und die Not im Jemen laufen unter der westlichen Wahrnehmungsschwelle; der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wird die nächsten Jahrzehnte so schwelen wie die letzten, ewig grüßt das Murmeltier; nur die von Donald Trump initiierte Aussöhnung Israels u. a. mit den Arabischen Emiraten bleibt als Fortschritt in vager Erinnerung.

Und plötzlich reist der amtierende US-Präsident in den Nahen Osten, inmitten ganz anderer weltpolitischer Verwerfungen. Heute nach Israel, dann auch nach Saudi-Arabien, ins Königshaus, auch zu Mohammed bin Salman. Das ist jener Kronprinz, der als Auftraggeber für die Zerstückelung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi im Konsulat in Istanbul gilt; das sind jene Saudis, denen Joe Biden noch im Wahlkampf 2019 androhte, sie würden „den Preis dafür zahlen“ (und in Washington haben sie vor der Saudi-Botschaft erst kürzlich ein Straßenstück „Jamal-Kashoggi-Weg“ getauft).

Jetzt will Joe Biden im Namen des Friedens mit allen reden, auch mit den Saudis. Im Namen des Öls natürlich auch, denn der hohe Benzinpreis in den USA ist vor den Kongresswahlen im Herbst kein Booster für Biden. Riad soll in der OPEC für mehr Öl am Markt sorgen.

Das ist Realpolitik. So wie der Grüne Robert Habeck im autokratischen Katar um Gas vorstellig werden kann, weil das vom anderen Autokraten in Moskau bald nicht mehr fließt. Oder wie Israel im Geheimen längst intensive Kontakte zu Saudi-Arabien geknüpft hat, dem ehemaligen Todfeind, weil der andere gemeinsame Todfeind, der Iran, noch viel tödlicher ist.

Das sehen auch die USA so, die an kein Atomabkommen mit dem Iran mehr glauben, aber um die Nähe Teherans zu Moskau wissen, samt iranischen Drohnenlieferungen an Russland und bevorstehendem Treffen des iranischen Präsidenten mit Wladimir Putin, noch ein Todfeind gerade.

So schnell ist eine fast vergessene Region wieder auf der weltpolitischen Bühne präsent. Bedeutend. Umworben. Nur aus ganz anderen Interessen halt.

Das G’riss um Nahost

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