Bündnis-Träumereien

Bündnis-Träumereien
Fakt ist: Die Türkei gehört nicht in die EU, die Ukraine momentan nicht in die NATO.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Nur wenige Stunden vor Beginn des NATO-Gipfels hat Russland die ukrainische Hauptstadt Kiew und Odessa mit 28 Kamikaze-Drohnen angegriffen – Absicht, wie immer: möglichst viele zivile Opfer. Der kriegsverbrecherische Akt war wie ein Signal Moskaus an den Gipfel: Ihr ringt um „ein deutliches Signal an die Ukraine“ (© NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über Beitritt bzw. Nicht-Beitrittsperspektive zur Allianz), wir schaffen mörderische Fakten.

An anderer Beitrittsfront schrammte der Gipfel, obwohl gar nicht zuständig, an einer Antwort vorbei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wollte das Ja zur Aufnahme Schwedens in die NATO mit der Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara verknüpfen – und hing nun Schweden um, sich darum zu kümmern.

Die Ausgestaltung und Erweiterung von Bündnissen folgt stets Interessen, hat Auswirkungen nach außen und innen – so weit, so banal –, und wird oft von Unehrlichkeit und Selbstbetrug begleitet.

Konkret: Die EU hat der Türkei vor bald 25 Jahren den Status eines Beitrittskandidaten gegeben und später Verhandlungen begonnen – ohne je die Frage zu beantworten, ob ein Land, das mit 97 Prozent seiner Fläche in Asien liegt (und dessen Bevölkerung zu 99 Prozent muslimisch ist), überhaupt zu Europa passt. Als da definitiv nichts mehr passte – rechtsstaatlich, demokratiepolitisch und im bi- und multilateralen Umgang –, war die beiderseitige Aufregung groß: Die EU legte die Verhandlungen auf Eis (maßgeblicher Motor: Christian Kern und Sebastian Kurz); die Türkei trotzt seither.

Die NATO wiederum hat, entgegen der langläufigen Erzählung, der Ukraine nie eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt – es war die junge Republik, die unter den Schutzschirm der NATO wollte. Der Antrag wurde „begrüßt“, die eingegangene Partnerschaft war halbherzig – und die Frage, ob eine Aufnahme der Ukraine die russischen Heim-ins-Reich-Gelüste verhindert hätte, ist müßig. Hätte die NATO nicht noch mehr die Putin-Erzählung (und die seiner Versteher) genährt, an die Grenzen Russlands zu rücken und es zu bedrohen? Und außerdem: Kann es auch Gründe geben, warum ein Bündnis einen Werber nicht aufnimmt, zum Beispiel, weil er (damals) ein relativ unsicherer Kantonist war?

Jetzt die Ukraine in die NATO zu holen (geht kriegführend gar nicht) oder ihr die absehbare Perspektive zu geben, wäre Unfug. Nicht, weil man damit Putin reizen würde – der lebt ohnehin in seiner eigenen Lügenwelt. Sondern weil der Westen einen Krieg, den er jetzt schon mit der Ukraine führt, in der Ukraine und mit noch einmal anderen Mitteln führen müsste. Das wäre brandgefährlich, das weiß man auch ohne die Droh-Rülpser aus dem Kreml. Die wären einzig ein Grund, das Bündnis justament zu erweitern. Aber Justament, Horuck und Träumereien sind schlechte Bündnis-Ratgeber.

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