Brauers Mahnung im Kanzleramt ist hochaktuell: "Freude und Geduld mit Kritik"

Der 89-jährige Feuergeist Arik Brauer berührte mit seiner Rede zum Befreiungstag historisch und aktuell.
Josef Votzi

Josef Votzi

Das „Nie wieder!“ und „Niemals vergessen!“ der Nachgeborenen kann noch so aufrichtig gemeint sein. Die Kraft, nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben, haben allein die Geschichten derer, die der Mordmaschine des Holocaust entkommen konnten. Es sind nicht mehr viele, die 80 Jahre nach der Machtübernahme der Nazis aus eigener Anschauung erzählen können. Dieser Tage gab es dafür gottlob noch zahlreiche Gelegenheiten. Die Geschichten, die Arik Brauer gestern im Kongresssaal des Bundeskanzleramts erzählte, berührten, ohne auch nur eine Sekunde um Rührung bemüht zu sein. Ohne ein Blatt Papier vor sich erzählte der 89-jährige Künstler in freier Rede, wie er die letzten Tage des Krieges in Wien erlebte – differenziert, unpathetisch, lebensnah.

„Diktatur kann man nicht ein bisserl kriegen“, und das Leben unter ihr sei fürchterlich, machte Arik Brauer den Nazi-Alltag , wie er ihn als Teenager erleben musste, plastisch: „Da kommt das Böse und das Widerwärtige, das in uns lebt, an die Oberfläche. Es ist die Zeit der miesen Vernaderer. Es wird nur gelogen und alle wissen es.“

Eindringlich und kompromisslos dann seine Vision der Zukunft, die zugleich etwas von einer Mahnung an die Anwesenden hatte: „Glücklich die Bevölkerung, die eine Regierung hat, wo Menschen sind, hoffentlich, die imstande sind, mit Geduld und mit Freude die Kritik und Kontrolle der Öffentlichkeit zu ertragen – je mehr davon, umso besser.“ In den letzten Satz hinein gab es an diesem 8. Mai 2018 spontan Bravorufe aus dem Publikum und erst zögerlich, aber doch, Standing Ovations von Kanzler und Vizekanzler abwärts. Ob daraus je anhaltender Applaus wird, bleibt eine der Lebensfragen dieser Republik.

Kommentare