Im Augeblick des Wals

Im Augeblick des Wals
Mit unglaublichen Momenten muss man auch erst umgehen lernen. Da ist eine lange Reise die beste Übung.

Irgendwann merkst du, wie lange ein Jahr ist. Bei mir kam das nach zwei Monaten und zwölf Tagen. Du denkst, wow, da habe ich jetzt schon viel erlebt, da bräuchte ich viele Treffen mit Freunden und Familie, um das alles zu erzählen. Du fragst dich, wie viel Erweiterung ein Horizont auf einmal verkraftet? Wie viele besondere Momente du speichern kannst? Denn eines ist dir schon lange klar: So eine einjährige Reise ist eine besonders dichte Aneinanderreihung besonderer Momente.

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Klar, du wirst von Tag zu Tag besser, besondere Momente zu genießen. Sie zuerst zu erkennen und dann zu genießen. Das ist eine Entwicklung, da kommst du nicht aus, da führt das Unterbewusste Regie. Es ist wie mit dem penetranten patagonischen Westwind, auf den sich der Körper einstellt, also automatisch kneifst du die Augen zu, wenn du rausgehst, das geht ganz von selbst. Und weil wir hier gerade in den Darwin-Cordilleren sind, kann man davon ausgehen, dass die nächste Generation dann schon mit ein bisschen zusammengeknifferen Augen auf die Welt kommen würde, weil eben Evolution.

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Übrigens hat man einen unfassbar guten Blick auf die Darwin Cordilleren - wahrscheinlich den besten, aber das weiß ich wieder auch nicht so genau, wenn man mit dem Schiff die Magellanstraße entlangrollt. Der Wind bläst dort eine besonders laute Polyphonie, aber das macht nichts, weil durch zusammengekniffene Augen alles ein bisschen wie Panoramabilder aussieht und das passt gut zu der Bergkette. Wenn du von Punta Arenas zum Forschungs-Stützpunkt Isla Carlos III. unterwegs bist, hast du sieben Stunden lang Zeit, dir diese Momente einzuprägen.Tags darauf. Das Schiff liegt zweihundert Meter vor der Isla Carlos III., zehn Touristen an Deck, ihre Blicke auf dem Wasser. Das hiesige Wasser ist eine besondere Mischung aus Pazifik und Atlantik. Das mögen die kleinsten und kleinen Meeresbewohner, die ihrerseits wiederum von den Buckelwalen besonders gemocht werden. Deswegen sind sie hier, die Wale und in weiterer Folge die Touristen. Die zuerst in einiger Entfernung Buckel aus dem Meer tauchen sehen. Später eine Schwanzflosse und da hört man schon die ersten Ahs und Ohs. Aber der Schiffskapitän kennt sich aus, weiß da geht mehr. Und geht also auf Kollisionskurs mit den Walen.

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Die regelmäßig auftauchenden Buckel mitsamt den Wasserfontänen kommen näher. Viele halten den Atem an, als ob das den Walen nicht wurscht wäre. Aber wenn zehn Meter vor dir ein Walrücken aus dem Wasser taucht, du sein gepresstes Ausatmen hörst und auch ein bisschen ins Gesicht bekommst, wenn dir diese tonnenschwere Sanftmut so nahe ist, dann weinst du vor Freude, machst dir in die Hose oder hältst eben den Atem an. Der Buckel taucht wieder unter, Richtung Schiff. Es ist ganz pssst, wie in Der weiße Hai, nur ohne spitze Zähne. Alle schauen auf das dunkle Wasser, in dem du die weißen Umrisse eines Buckelwal-Bauches erkennen kannst. Fotoapparate piepsen ihre Fokussierung, sonst ist es still.

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Dann passiert Magie. Es geht ganz schnell, trotzdem wie in Standbildern: Drei Meter vor dem Boot taucht er auf, erstmals nicht mit dem Buckel, sondern mit dem Kopf, er atmet aus, er verharrt, scheinbar ewig so, du siehst alles, die Muscheln, die an seinem Körper haften, das Maul, die ziehharmonischen Falten zur Nahrungsaufnahme, die sicher anders heißen. Du schaust einem Wal ins Auge. In das Auge. Es sieht dich an, der Wal schaut dich an. Dann langsame Drehung, Seitenflosse, Bauch, Schwanzflosse, weg. Du bist wieder einmal Kind, schwere- und regungslos gefangen. In einem dieser Momente.

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Die Route bisher: Wien - Madrid (Spanien) - San José (Costa Rica) - Tortuguero - Puerto Viejo - Manzanillo - Vulkan Arenal - Monteverde - San Juan del Sur (Nicaragua) - Isla Ometepe - Granada - SOS Kinderdorf Santa Ana (El Salvador) - Quezaltenango (Guatemala) - Puerto Arista (Mexiko) - Oaxaca - Mexiko City - Lima (Peru) - Paracas - Nasca - Arequipa - Puno/Titicacasee - Isla Amantani - Cusco - Machu Picchu - Lima - Punta Arenas (Chile) - Tierra del Fuego, chilenischer Teil - Ushuaia (Argentinien) -Forschungsstützpunkt Isla Carlos III., nächstes Ziel: Puerto Natales & El Calafate, also die Nationalparks Torres del Paine & Los Glaciares.Schnäppchen/Nepp dieser Tage: Der Walausflug dauert drei Tage und drei Nächte, man schläft in einem entlegen wunderbaren Hotel und dann zwei Nächte in feudalen Zelten mit Bett und Ofen. Man sieht Natur, die Magellanstraße, Gletscher, Wale, andere Tiere. Man isst, man trinkt. Es ist großartig. Das Programm kostet 480.000 Chilenische Pesos, rund 680 Euro. Ob das ein Schnäppchen ist? Ich weiß es nicht, Nepp ist es sicher keiner. Und man bedenke: Ich habe einem Wal ins Auge geschaut.

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