Halbhubers Weltreise: Tokyo-Geschichten 3
Vergessen Sie einmal alles, was Sie aus dem Fernsehen kennen: viele Menschen, Hochhäuser, Männer in dunkelblauen Anzügen auf dem Weg ins Büro, Mädchen in kurzen Schuluniformen, elektronisches Gebimmel überall, zu große Neonlichter, eine U-Bahn mit Sekundenzeiger. Vergessen Sie das, denn es stimmt, so ist Tokyo, übrigens erst seit 1868 Hauptstadt Japans. Aber das alles greift viel zu kurz, weiß ich schon nach einer Woche.
Suspekte ErotikZuerst las ich davon im Reiseführer. Tokyos Mädchen suchen ihren Stil. Den Stil, der alles rundum in den Schatten stellt. Der sie aus der Menge der Konsumgesellschaft heraushebt, aus dem Meer an gleichen neuen Handys, an piepsenden und blinken Elektro-Accessoires wie eine einsame Insel strahlen lässt, die allen zeigt, und seien sie noch so weit weg: Ich bin nicht der Ozean, ich bin festes Land und schwimme nicht mit den Fischen.
Diese Mädchen, geschminkt und geschmückt wie Manga-Figuren, mit pinken Haaren und Maschen darin, tragen Stofftiere, skurril elegante Kleider, zu quer um von der Stange zu sein, zu selbstverständlich für ein Faschingskostüm. Es ist zu Stoff gewordener Ausdruck des Ich, wie eine rote Nelke am 1. Mai oder ein weißer Arztkittel. Sie würden sich gerne fotografieren lassen, sagt der Reiseführer, aber das stimmt nicht immer: Manche weisen das zurück, fast schroff, wie um zu sagen, warum fotografieren, so bin ich, fotografier doch den Normalen, der ist auch nur er. Dass sie auf ihren Streifzügen durch Shinjuku oder Harajuku auch ein bisschen gegen das dominante Grau dieser ihrer verplanten Stadt kämpfen, würden sie nicht zugeben, glaube ich.
In Akihabara sind die Mädchen nicht. Hier sind alle, Tokioter bis Touristen, auf der Jagd nach einem Elektroschnäppchen, digitale Spiegelreflexkamera bis beheizter Scheißhaussitz. Und das ist den Kunstfigur-Mädchen vielleicht zu profan. Hier dominieren andere: Mädchen in einer Aufmachung zwischen Manga, französischem Stubenmädchen und kindlicher Erotik. Erst da merkte ich, wie nahe Kunst und Witz bei einer Figur zusammen liegen können.
Ich las im Reiseführer davon und klar ging ich in eines der Maid-Cafes, wo diese Mädchen arbeiten. Dort ist man schnell in einer anderen Welt, dort umschwärmen einen die Mädchen in Strapsen und Unterrock-Mode, ihr wahres Alter ist hinter der Aufmachung als Vierzehnjährige kaum zu schätzen. Sie weisen beim Betreten auf das Schild hin - keine Kontakte, keine Anmache, kein Grapschen - sie kreischen die Bestellungen des Gastes durch den rosafarbenen Raum den anderen Stubenmädchen zu. Sie lassen für 300 Yen Fotos mit sich machen und nehmen dabei Stofftiere in die Hand. Sie behandeln alle gleich, den Businessmann, dessen Motivation für den Besuch dieses Lokals man nicht einmal erahnen will. Sie servieren und verlangen vom Gast, dass er dabei gemeinsam mit ihnen einen japanischen Reim aufsagt. Der Reim klang für mich wie "Penis; Penis, der so schen is." Es lag wohl am Umfeld. Schlussendlich fand ich diese Erotik eigenartig.
Zuerst fand ich das irgendwie niedlich. Japanische Schulkinder in Uniformen. Die Buben oft in zu großen Anzügen, japanische Mütter scheinen da ähnlich unbarmherzig wie europäische, da wächst du hinein, noch Platz im Schritt, danke schön, Frau Mama. Die Mädchen tragen Faltenröcke und so begann mein Zweifel. Diese Röcke sind in unseren Breiten lang, übers Knie sollte eine adrette Schuluniform schon reichen. Hier waren die Röcke oft kurz. Schon breiter als ein Gürtel, nicht dass Sie glauben. Aber weit weg vom Knie.
Man klärte mich auf: Viele der Mädchen rollen ihre Röcke nach der Schule um die Taille auf. Damit sie unten mehr Bein zeigen. Ich aber wurde den Verdacht nicht los, dass bloß alle diese Röcke gleicher Länge sind. Lang genug, um kleinen Mädchen bis zum Knie zu reichen. Große Mädchen aber zeigen genug Bein, um es locker auf ein Schulmädchen-Report-Cover zu schaffen. Und auch wenn ich mit diesen Gedanken zu keinem Schluss kam und bis jetzt nicht weiß, was stimmt, fand ich diesen Aufzug für Kinder schlussendlich eigenartig.
Zuerst gefiel mir die Erotik. Da brauchen wir gar nicht herumreden, wenn schöne Frauen ihre schönen Beine zeigen, schaut der Autor dieser Zeilen gerne. Wenn sie neckisch mit der Mode spielen, halterlose Strümpfe zwanzig Zentimeter unter dem Kurzrock-Saum enden lassen, soll mir das recht sein. Sie tragen schöne Schuhe dazu, sie haben schöne Gesichter, sie richten sich her. Und da schaue ich gerne. Glauben Sie es oder nicht, in Tokyo liegt ob schöner Frauen in umwerfenden Aufmachungen ständig das Erotische in der Luft. Da könnte man allüberall die Neonschilder und Piepsmelodien abdrehen, wäre noch immer eine Reizüberflutung.
Dass die Freizügigkeit in dieser Gesellschaft aber anders tickt, merkt man oberhalb der Gürtellinie. Gezeigt wird Bein, sonst aber nix. Der Busen, das Dekolleté, der Hals, die Schultern, alles uneinsichtig. Was japanische Frauen unten an Stoff einsparen, investieren sie in die Oberkörperbekleidung. Das ist nicht schlimm, nur bemerkenswert. Und es macht neugierig. Mich zumindest: Wie tickt diese Gesellschaft sexuell? Worauf stehen japanische Männer, was wirft sie um, worauf onanieren sie? Bevor mir hier ein Schweinderl-Image wächst, lassen Sie mich sagen: Ich arbeitete einige Zeit neben einem Sprach- und Schreibmeister, der vor allem über das Sexuelle nachdachte. Und wer das einmal durch seine Augen gesehen hat weiß genau, dass dieses Sexuelle verdammt viel aussagt, auch über eine Gesellschaft.
Also betrat ich eines der Geschäfte, die Erotik- und Porno-Magazine und -Filme handeln. Weniger schlimm als die Sexshops am Wiener Gürtel, hier gibt es nicht einmal Dildos. Aber Hefte und eben deren Cover schaute ich an: Das Mädchen von nebenan, die Krankenschwester, die Bürokollegin, das Hofratstöchterl, der Lolitatyp. Und als ich schon verzweifelt umdrehen wollte, weil eh alles wie bei uns ist, stach mir ein Magazin in die Augen: Girls from Eastern Europe. Zu sehen: Kinder europäischen Typs. Nein, nicht das Pornomodell Sweet 18, das wäre ja wieder Lolita. Sondern Kinder, in Badeanzügen, ohne weibliche Züge. Kinder, Mädchen, die, keine Ahnung, vielleicht 13 Jahre alt waren. Ausgesehen haben sie alle wie acht oder neun. Mir wurde schlecht. Während ich ging, dachte ich darüber nach, welcher offiziellen Stelle man meldet, wohin die europäische Kinderpornografie geliefert wird: Zu solchen Magazinstores in Tokyo. Nicht in den Untergrund, nicht in der versteckten Laden unter der Theke. Sondern ins Regal, ganz öffentlich. Schlussendlich fand ich die Erotik in Japan nicht mehr eigenartig. Sondern grauenhaft.
Die Route bisher: Wien - Madrid (Spanien) - San José (Costa Rica) - Tortuguero - Puerto Viejo - Manzanillo - Vulkan Arenal - Monteverde - San Juan del Sur (Nicaragua) - Isla Ometepe - Granada - SOS Kinderdorf Santa Ana (El Salvador) - Quezaltenango (Guatemala) - Puerto Arista (Mexiko) - Oaxaca - Mexiko City - Lima (Peru) - Paracas - Nasca - Arequipa - Puno/Titicacasee - Isla Amantani - Cusco - Machu Picchu - Lima - Punta Arenas (Chile) - Tierra del Fuego, chilenischer Teil - Ushuaia (Argentinien) - Isla Carlos III. (Chile) - Puerto Natales - Torres del Paine - El Calafate (Argentinien) - Buenos Aires - Mendoza - Valparaiso (Chile) - Santiago de Chile - Auckland (Neuseeland) - Wellsford - Ngunguru - Tutukaka - Kawakawa - Paihia - Kaitaia - Cape Reinga - Matakohe - Tauchkurs in Tutukaka - Peninsula Coromandel - Auckland - Taupo - Napier - Wellington - Fähre auf die Südinsel - Picton - Takaka - Kaiteriteri - Punakaiki - Arthur's Pass - Christchurch - Twizel - Aoraki/Mount Cook - Dunedin - Te Anau - Milford Sound - Queenstown - Wakana - Franz Josef - Hanmer Springs - Kaikoura - Fähre auf die Nordinsel - Paraparaumu - National Park - Tongariro Crossing - Whanganui - Wellington - Rotorua - Auckland - Sydney (Australien) - Blue Mountains - Cairns - Great Barrier Reef - Cape Tribulation - Sydney - Tokyo (Japan) - Kyoto - Osaka, nächstes Ziel: Hiroshima.
Schnäppchen dieser Tage: Tokyo, vereinfacht gesagt. Ich hatte mir eine Implosion des Geldbörsels erwartet, man hört ja immer, wie teuer Japan ist, Tokyo sowieso. Aber es kam anders: Man findet hier ab 3200 Yen (rund 27 Euro) einen sehr sauberen Schlafplatz (im Dorm, sprich Mehrbettzimmer), ab 500 Yen (4 Euro) ein üppiges Essen und der öffentliche Verkehr ist mit 150 bis 300 Yen (ein Euro irgendwas bis 2,5 Euro) auch nicht teurer als sonstwo. Und, ach ja: Die digitale Spiegelreflex, die ich mir gerade überlege kostet hier umgerechnet 495 statt wie daheim 649 Euro. Dafür nur mit japanischer Anleitung.
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