Halbhubers Weltreise: Plötzlich Charakter

Halbhubers Weltreise: Plötzlich Charakter
Neuseeland hat sich lange geziert. Aber kurz nach Fjordland hat es mir seinen Charakter offenbart.

Die Südinsel ist ganz anders als die Nordinsel. Diese Weisheit haben mir alle Neuseeland-Kenner mit auf die Reise gegeben. Aber wer schon als kleiner Rotzbub seiner Mama nie glauben wollte, dass er sich ohne Haube und Schal leicht verkühlt, der ignoriert Weisheiten gelegentlich. Drei Südinselwochen später weiß ich, dass es hier anders ist als auf der Nordinsel. Und verkühlt bin ich auch.

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Die aktuelle Rotznase und Rachenrötung habe ich mir beim Tauchen im Milford Sound geholt. Sounds sind von Wasser (Überschwemmungen und Flüssen) geformte Meereinbuchtungen im Festland. Der Milford ist aber ein Fjord (weil von Gletschern geformt), wird aber wie die 13 anderen Fjorde im Fjordland als Sound bezeichnet. Da spinnen sie ein bisschen, die Kiwis. Tauchen in diesen Wassertälern ist so besonders, weil die Meeresfauna und -flora wegen Lichtdürre und Süßwasserschicht auf dem Salzwasser hier die Tiefe verwechselt: Die Schwarze Koralle etwa lebt sonst in den Tropen unter minus 100 Meter, im Milford Sound findet man sie in zehn Meter Tiefe. Und natürlich ist sie nicht schwarz, sondern weiß. Da spinnen die Korallologen.

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Das Besondere am Milford gegenüber den anderen Sounden ist die Zufahrt. Hierher führt eine Straße, 120 Kilometer lang und mit dem Prädikat "sehenswert" beworben. Hier gibt es zwei Unterkünfte, ein Pub und drei Hände voll Tourismus-Anbietern. Daher schaut man sich den Milford Sound an - ah, oh, schön - und bucht etwas: Wandern, Kajaken, Ausflugsboot mit Unterwasser-Museum. Oder eben Tagesprogramm auf extravagant: Tauchen. Es war wunderbar.

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Überhaupt ist diese Ecke der ganz anderen Südinsel etwas für die To-Do-Liste: Von Fjordland nach Queenstown. Einschub, zwei Sätze zu dieser Stadt: Sie wurde zu Ehren Königin Victorias benannt. Heute ist sie die entsetzlich touristische Zentrale des gepflegten Adrenalinkicks. Hier wurde angeblich das Bungee Jumping erfunden, hier bieten hunderte Agencys tausende Möglichkeiten an, sich gegen gutes Geld mächtig ins Hoserl zu machen. Ich wählte die ruhige Gondelfahrt auf den Aussichtsberg und eine Abfahrt auf dem Familienkurs der Sommerrodelbahn. Mit den verlegten Ohren einer satten Verkühlung übrigens auch kein Lercherlschaß. Einschub im Einschub: Als ich in der vertrauten Doppelmayr-Gondel saß und das Aluminiumblech unter mir schepperte, schloss ich kurz die Augen, dachte mir Skischuhe an die Füße und verzwickte mir mein Heimweh…

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Von Queenstown nach Wanaka. Bei Schönwetter wird im südwestlichsten Teil Neuseelands jede Autofahrt zur Tagesbeschäftigung. Da biegt man gerne von der Haupt- auf die Scenic-Route ab. Da hält man an, wo es nichts zu Halten gibt. Weil Berge, weil Himmel, weil Grün, weil Innehalten. Es gibt hier viel zu schauen, überall in Neuseeland ist viel Landschaft, aber hier wird sie plötzlich besonders, anders. Hier, in Fjordland und im Lake District, zeigt Neuseeland etwas, nach dem ich solange gesucht habe: Hier hat Neuseeland plötzlich Charakter.

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Als ich im YHA-Hostel Franz Josef (dieses Örtchen ist nach dem Gletscher Franz Josef benannt, der nach unserem einstigen Kaiser) ankam, war ich noch immer vom Schauen verzückt. Und sah plötzlich einen Spruch an der Wand: "The traveller sees what he sees, the tourist sees what he has come to see." Das soll der englische Schriftsteller und Journalist Gilbert Keith Chesterton einmal gesagt haben.

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Ich beschloss, an diesem Nachmittag Reisender zu sein und schaute mir den kaiserlichen Gletscher gar nicht an. Sondern setzte mich auf eine Couch, in der sogar ich klein wirkte, und verwöhnte meine beleidigten Kopfhöhlen Schluck für Schluck mit Pfefferminztee und Honig. Da fiel mir ganz plötzlich die Frau Tourguide aus El Calafate, Argentinien, ein. "Tourists don't like tourists", hat die junge, weise Frau gesagt, als sie uns den tollsten Gletscher Südamerikas zeigte. Weil den habe ich mir schon angeschaut. Schließlich war ich deswegen nach Calafate gekommen. Aber in Neuseeland wollte ich ja nur Charakter finden.

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In eigener Sache: Dieser G.K. Chesterton hat mich beim Recherchieren beeindruckt. Irgendwie fühle ich mich ihm ähnlich: Er war zum Beispiel groß und, äh, stärker. Überliefertes Gespräch zwischen ihm und seinem sehr schlanken Freund George Bernard Shaw: "Wenn man dich ansieht, glaubt man, dass es in England eine Hungersnot gibt." Darauf Shaw: "Wenn man dich ansieht, glaubt man, dass du sie verursacht hast." Oder: Chesterton starb am 14. Juni 1936, auf den Tag genau 41 Jahre später kam ich zur Welt, also Sie sehen, Ähnlichkeiten ohne Ende. Vor allem aber war dieser Chesterton Journalist und Autor. Und soll ich was sagen: Dieser Tage erschien mein erstes Buch, über meine zweimonatige Wanderung von Bregenz nach Wien im vergangenen Sommer. Nein, das erzähle ich nicht, um zu werben. Sondern weil ich jetzt auch ein bisschen "Journalist und Autor" bin. Und, ehrlich, stolz wie Oscar.

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Die Route bisher: Wien - Madrid (Spanien) - San José (Costa Rica) - Tortuguero - Puerto Viejo - Manzanillo - Vulkan Arenal - Monteverde - San Juan del Sur (Nicaragua) - Isla Ometepe - Granada - SOS Kinderdorf Santa Ana (El Salvador) - Quezaltenango (Guatemala) - Puerto Arista (Mexiko) - Oaxaca - Mexiko City - Lima (Peru) - Paracas - Nasca - Arequipa - Puno/Titicacasee - Isla Amantani - Cusco - Machu Picchu - Lima - Punta Arenas (Chile) - Tierra del Fuego, chilenischer Teil - Ushuaia (Argentinien) - Isla Carlos III. (Chile) - Puerto Natales - Torres del Paine - El Calafate (Argentinien) - Buenos Aires - Mendoza - Valparaiso (Chile) - Santiago de Chile - Auckland (Neuseeland) - Wellsford - Ngunguru - Tutukaka - Kawakawa - Paihia - Kaitaia - Cape Reinga - Matakohe - Tauchkurs in Tutukaka - Peninsula Coromandel - Auckland - Taupo - Napier - Wellington - Fähre auf die Südinsel - Picton - Takaka - Kaiteriteri - Punakaiki - Arthur's Pass - Christchurch - Twizel - Aoraki/Mount Cook - Dunedin - Te Anau - Milford Sound - Queenstown - Wakana - Franz Josef - Hanmer Springs, nächstes Ziel: Kaikoura.

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Schnäppchen dieser Tage: Im Buch "Ich geh dann mal heim" von Axel N. Halbhuber, erschienen im Amalthea Verlag, kommt die Wanderung quer durch Österreich um wohlfeile 19,95 Euro direkt ins Wohnzimmer.Nepp dieser Tage: Die einstündige Tour durch Dunedins Schokoladefabrik Cadbury's kostet 18 Dollar (9 Euro). Das wäre ein ganz guter Preis. Sogar dafür, dass die Tour nicht besonders ist und die Kostproben ekelhaft süß sind. (Marshmellow mit Karamellüberzug in Schoko würde bei uns sogar im Diätcamp liegen bleiben) Wirklich tragisch ist das Ende der Tour, man wird in einen alten Speichersilo geführt, in dem ein Schokolade-Wasserfall errichtet wurde. Und während eine Tonne flüssiger Schokolade in fünf Sekunden herabstürzt, hält man sich die Ohren zu, weil es so laut ist. Oder die Augen, weil es so grauslich ist. Denn das hat nichts von runder Schokobrunnen-Ästhetik am Dessertbuffet, das hat etwas von Durchfall für Riesen. Und man erinnert sich wieder an die Worte der Mutter: Mit Essen spielt man nicht.

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