H'hubers Weltreise: Kirgistan eins

H'hubers Weltreise: Kirgistan eins
Die Jurte ist nur ein Gleichnis von Nationalismus und Stolz, Heurigenwirten und Ausblick. Aber aufgegossen mit vergorener Stutenmilch.

In Kirgistan fährt man rechts, außer die Straße ist links besser. Eben dort, wo weniger Schlaglöcher sind, Kirgisen sind Ökonomie-Opportunisten. Erst im Moment der Begegnung besinnt man sich seiner verordneten Zugehörigkeit und zieht nach rechts. Und so reißen besonders auf der großteils unasphaltierten Straße zwischen Kochkor und Naryn die PKW-Lenker ihre Autos erst kurz vor den vielen entgegenkommenden LKWs aus China nach rechts. Als Insasse wäre dieses Abenteuer nicht zu ertragen, hätte man nicht die Landschaft zur Ablenkung. Diese, kirgisische, umwerfende Landschaft.

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In Kirgistan sieht man immer die Berge. Immer, außer es ist bewölkt, natürlich. Ansonsten blitzen mich bislang aus der Ferne immer schneebedeckte Gipfel an, Berge über 3500, über 4000 Meter, immer im Blick. Während die Innsbrucker ihre Nordkette aber oft gar nicht mehr wahrnehmen, ist das Dauerpanorama für die Kirgisen eine große Sache, wie für einen Wiener eben auch.Sie sind stolz auf das Land. Auf ihre stetige Frage an den Fremden "Was gefällt dir am besten in Kirgistan?" erwarten sie daher als Antwort "Die Natur." Sie scheinen ein bisschen enttäuscht, wenn sie meine Antwort hören: "Die Freundlichkeit der Menschen." Und das macht sie noch umwerfender. Denn ihr Stolz auf das Land ist um so viel sympathischer als herkömmlicher Nationalismus. Die freundlichen Menschen leben in einem Land, auf das sie stolz sind. Nicht das Land ist stolz auf die Menschen, die es bewohnen. Ein sympathischer Wesenszug, eine sympathische Sicht der Dinge.

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Und daher stellt ich mir jüngst wieder die Frage, die ein Individualreisender ständig im Backpack herumschleppt: Kann man sich die schönsten Reisedestinationen - die unberührten nämlich - anschauen, ohne sie zu zerstören. Ohne sie zu berühren, zu beflecken, zu entjungfern? Nein.In meinem Fall sah das so aus: Ich hatte das Glück, privat in eine Jurte eingeladen zu werden. Nicht über die Tourist-Agency im Jurtendorf schlafen müssen, mit Betten und Western Toilets, sondern mit Kirgisen ein paar Tage am Jailoo, ganz echt, das gefiel mir. Meine anfängliche Frage nach den Kosten wurde mit einem betretenen Blick beantwortet, übers Geld spricht man hier nicht. Es folgten zwei wunderbare Tage mit meinen ersten Melk-Versuchen, Schmusestunden mit Welpen und Babyesel und ein Almkickerl mit dem neunjährigen Tilek. Über ihn müsste man ein Buch schreiben, der Coole von der Alm, der alle Pferde reitet, auch wenn man ihm noch raufhelfen muss. Der das Vieh von links nach rechts treibt, die Peitsche knallen lässt, Fische fängt, alles über die Berge weiß und wahrscheinlich der glücklichste Neunjährige ist, den ich je kennenlernte. Ich wanderte im Alatau und lauschte dem Gebirgsfluss beim Einschlafen. Ich versuchte zu reiten, misstraute den Anweisungen meines Gastgebers Talgat ("Schneller, dann wird es leichter") und hielt mich dennoch im Sattel, nachdem er meinem Pferd mit einem Stock auf den Arsch schlug und es losgaloppierte. Ganz genau, ich hatte eine tolle Zeit.

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Und dann sprach man doch übers Geld. Der Vater der Familie, Chef des Jailoo, wollte 2000 Som für zwei Personen und zwei Nächte. Das entspricht rund 40 Euro und zwei Dritteln seines Monatslohns. Und hier offenbarte sich das Dilemma meiner Debütjurte, das Spannungsfeld zwischen privat und professionell. Denn so gut die zwei Tage waren, sie waren von der Sorte "Ich lasse als Dank gerne ein wenig Geld hier", nicht von "Die Rechnung bitte". Sie waren gleich dem Almbauern, der mich freundlicherweise im Heu schlafen lässt, nicht wie das Berghotel. Wir hatten das Essen großteils selbst mitgebracht. Meine Schlafjurte war das Materialzelt, notdürftig. Rundherum war echtes Jailoo-Leben, Müll, Gebrauchsgegenstände. Für mich ein Traum, aber nicht für den Touristen bestimmt.

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Um es auf den Punkt zu bringen: Ich war gerne bereit, den Betrag zu zahlen, die Summe ist für Europäer nicht viel. Aber eben für Kirgisen, womit wir bei der Frage wären, ob man sich das Unberührte anschauen kann, ohne es zu zerstören. Und bei der Antwort: Wenn ich das zahle, wird die Familie künftig davon leben wollen, drei Tage Touristen aufnehmen statt einen Monat molochen. Die Weide wird irgendwann Nebengeschäft und die Jurte nicht mehr so toll sein. Ich meine, ich verstehe den Almen-Vater, es geht ihm wie dem alten Berger-Heurigen in Grinzing: Er lehnt den Bustourismus ab. Aber jeden Tag schaut er über die Straße, sieht den Martin-Sepp-Heurigen und wieviel Geld der macht, wenn die Amerikaner den CD-Geigen lauschen. Ein Dilemma. Ois a Schas. Nur soviel: Wir trennten uns dennoch mit einem zufriedenen Lächeln seitens des Vaters. Und meinerseits der Gewissheit, besser das Dilemma im Privaten als eine Agency-Jurte mit drei unterschiedlichen Kategorien.

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Spätestens am 3016 Meter hohen Dolon-Pass auf der Straße nach Naryn waren diese Gedanken nur mehr Fragmente in meinem luftdurchtränkten Hirn. Und in der antiken Karavanserei von Tash Rabat hatte ich sie ganz vergessen. Denn in Kirgistan hilft der ständige Ausblick über eigentlich alles hinweg. Die einzige Ablenkung bleibt die Freundlichkeit der Kirgisen. In Tash Rabat zum Beispiel die einheimische Reisegruppe, die zuerst ein Foto mit meiner Freundin und mir wollte und uns dann zum Spontan-Picknick bei Kofferraum lud. Vodka, Brot und viel Lachen. Danach ließen sie uns mit Limonade und einem Stück Rinderzunge zurück. Und eben dem Ausblick.

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Die Route bisher: Wien - Madrid (Spanien) - San José (Costa Rica) - Tortuguero - Puerto Viejo - Manzanillo - Vulkan Arenal - Monteverde - San Juan del Sur (Nicaragua) - Isla Ometepe - Granada - SOS Kinderdorf Santa Ana (El Salvador) - Quezaltenango (Guatemala) - Puerto Arista (Mexiko) - Oaxaca - Mexiko City - Lima (Peru) - Paracas - Nasca - Arequipa - Puno/Titicacasee - Isla Amantani - Cusco - Machu Picchu - Lima - Punta Arenas (Chile) - Tierra del Fuego, chilenischer Teil - Ushuaia (Argentinien) - Isla Carlos III. (Chile) - Puerto Natales - Torres del Paine - El Calafate (Argentinien) - Buenos Aires - Mendoza - Valparaiso (Chile) - Santiago de Chile - Auckland (Neuseeland) - Wellsford - Ngunguru - Tutukaka - Kawakawa - Paihia - Kaitaia - Cape Reinga - Matakohe - Tauchkurs in Tutukaka - Peninsula Coromandel - Auckland - Taupo - Napier - Wellington - Fähre auf die Südinsel - Picton - Takaka - Kaiteriteri - Punakaiki - Arthur's Pass - Christchurch - Twizel - Aoraki/Mount Cook - Dunedin - Te Anau - Milford Sound - Queenstown - Wakana - Franz Josef - Hanmer Springs - Kaikoura - Fähre auf die Nordinsel - Paraparaumu - National Park - Tongariro Crossing - Whanganui - Wellington - Rotorua - Auckland - Sydney (Australien) - Blue Mountains - Cairns - Great Barrier Reef - Cape Tribulation - Sydney - Tokyo (Japan) - Kyoto - Hiroshima - Osaka - Hongkong (China; selbstverwaltete Region) - Macao (China; sR) - Ho Chi Minh City/Saigon (Vietnam) - Cu Chi-Tunnels - Nha Trang - Motorradtour durch das zentrale Hochland (Buon Ma Thout, Kon Tum, Tac Glei) - Hoi An - Hue - Hanoi - Halong Bay - Ninh Binh - Tam Coc - Savannaketh (Laos) - Pakse - Bolaven Plateau - Champasak - Si Phan Don Islands/Don Kong Island - Kratie (Kambodscha) - Phnom Penh - Sihanoukville - Battambang - Siem Reap - Bangkok (Thailand) - Delhi (Indien) - Agra - Varanasi - Lumbini (Nepal) - Pokhara - Kathmandu/Kathmandu Valley (Patan - Boudhanath - Jorpati - Bhaktapur) - Almaty (Kasachstan) - Medeu/Kasach. Alatau - Issyk Lake - Bishkek (Kirgistan) - Tokmok - Taldy Bulak - Jurte/Kirg. Alatau - Naryn - Reiten in Tash Rabat - Bokonbayevo/See Issyk-Köl - Karakol, nächstes Ziel: Jeti Öghüz.

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Schnäppchen dieser Tage: Die geröstete Leber mit Zwiebelringen im Kafe Express beim Busbahnhof von Tokmok kann nicht unerwähnt bleiben. Sie kostet 65 Som (rund 1,30 Euro) und ließ mich an meine verstorbene Omi und ihre Kochkunst denken. Außerdem stillten die Leber und das Ambiente in mir ein bisschen Hunger und Heimweh nach einem hundsordinären Simmeringer Beisl.Nepp dieser Tage: Es ist lahm, schon wieder über Taxis zuschreiben, dass eines von Tokmok nach Naryn um 3000 Som erstangeboten wird, nach ein bisserl Weiterfragen aber nur 900 (rund 18 Euro) für zwei Personen kostet. Das Fazit: Wo auch immer auf der Welt, informieren Sie sich irgendwie vor der Verhandlung mit einem Taxilenker über den üblichen Preis. Spannender ist es da schon, Kumus (kymys) zu besprechen. Ich weiß schon, dass es sich nicht gehört, lukullische Nationalheiligtümer zu verunglimpfen, aber diese vergorene/fermentierte Stutenmilch hat mich in meinen geschmacklichen Grundfesten erschüttert. Zum Nachbasteln und besser Vorstellen: Legen Sie in ein Gemisch aus saurem Weißwein und Milch eine Woche eine Salami ein, trinken sie dann das Gesöff. Warum ich das erzähle: Wenn Sie je in die Situation kommen, auf eine Schale kymys eingeladen zu werden, bestehen Sie auf einem kleinen, klitzekleinen Trinkgefäß. Denn Austrinken ist Pflicht.Nachgereicht: Ich vergaß jüngst, eine Empfehlung auszusprechen. Wer Kasachstan im Allgemeinen und Almaty im Besonderen besucht, sollte sich an die hier lebende Deutsche Dagmar Schreiber wenden. Sie weiß viel, organisiert alles und hat Verständnis für Gestaltungs- und Preiswünsche mitteleuropäisch, mittelständisch Reisender.Email: kasachstanreisen@aol.com, Telefon: +7 (727) 2621224, Mobil: +7 (701) 407 96 11

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