Documenta-Blog 2: Schauen, schauen

Goshka Macuga, "Tapestry"
Die Konzeptnebel lichten sich, die Kunst wird sichtbar: Es ist Eindrucksvolles dabei.

Es braucht eine Weile, bis das von Ankündigungstexten durchmassierte Hirn sich in einer Ausstellung entspannt, bis es "klick" macht und die Kunst ihre Funken versprüht. Im Fridericianum, dem Herzstück der Documenta, dauerte das zugegeben recht lange, aber im zweiten Stock war es dann so weit: Hier hängt ein Wandteppich von Goshka Macuga in der Rotunde, der einen direkt nach Afghanistan führt, vor einen zerbombten Palast, der ironischerweise dem Museum in Kassel recht ähnlich sieht. Das Panorama-Bild ist nur die Hälfte der Auftragsarbeit - die andere Hälfte wurde in Kassel fotografiert und wird in Kabul gezeigt. 

Plötzlich scheinen die doch recht abstrakten Ankündigungen der künstlerischen Leiterin viel plausibler: Tatsächlich kann ein Materialstück Geschichte erzählen, kann einen anderen Ort vergegenwärtigen. Besonders eindrucksvoll tut dies der Künstler Michael Rakowitz, der aus dem selben Stein, aus dem die von den Taliban gesprengten Buddhastatuen in Bamiyan/Afghanistan gemacht waren, Bücher schnitzen ließ - und zwar Nachbildungen jener Bände, die beim Bombardement Kassels 1941 in der Bibliothek des Fridericianums verbrannten.

Zerstörung und Aufbau

Documenta-Blog 2: Schauen, schauen

Das von der Chefkuratorin anvisierte Thema "Zerstörung und Aufbau" wird in derartigen Werken gut sichtbar, doch ist es nur einer von mehreren roten Fäden, an dem man sich durch das dichte Documenta-Programm hanteln kann. Im Ottoneum, dem Naturgeschichte-Museum Kassels, herrscht die Ökologie als Thema vor, die gezeigten Arbeiten sind aber wenig überzeugend - bisweilen nervt die Idee, dass Künstler die besseren Weltverbesserer seien, doch ganz gewaltig.

Dass die Kunst sehr oft dort am hellsten strahlt, wo sie einfach Kunst sein darf, untermauert nebenan die Ausstellung in der Documenta-Halle: Hier darf der Künstler Thomas Bayrle einen riesigen Saal mit umwerfenden Arbeiten bespielen.

Flugzeuge, Gebete und Autoschrott

Documenta-Blog 2: Schauen, schauen

Ein riesiges Bild eines Flugzeugs dominiert den Raum - bei näherem Hinsehen ist es aus lauter kleineren Bildern zusammengesetzt, die ebenfalls ein Flugzeug zeigen. Neben diesem magnetisch-monumentalen Bild hat Bayrle allerhand Motoren und Geräte positioniert, ähnlich wie in einem Technikmuseum. Sie laufen nonstop, dazu dringen leise Gebete aus einem Lautsprecher: Ein Kolbenmotor betet den Rosenkranz, ein Scheibenwischer sagt: "Bitt für uns". Die Gebetsmühle des 21. Jahrhunderts ist motorisiert, keine Frage.

Technoid

Documenta-Blog 2: Schauen, schauen

Technoid geht es am Kasseler Kulturbahnhof weiter: Hinter den Lagerhallen hat Lara Favaretto eine enorme Menge Schrott abgeladen (wieder das "Zerstörung-und-Aufbau"-Thema), William Kentridge zeigt einen ebenso wunderbaren wie rätselhaften Film, in dem auch eine kurbelwellenbetriebene Maschine eine Rolle spielt, und István Csákány holt die minutiös geschnitzte Holznachbildung eines Sweatshops - einen jener Textilfabriksräume aus Billiglohnländern - in die Halle. Es ist eine Halle des Staunens.

Im Theorieschlamm

Documenta-Blog 2: Schauen, schauen

Auch der riesige Erdhügel im Saal nebenan lässt die Augenbrauen hochgehen. Nicht nur wegen seiner Dimension, sondern auch wegen der Erläuterung, die neben diesem Werk von Michael Portnoy zu lesen ist.  "Bei dieser kombinatorischen, in einem Schlammhügel platzierten Gameshow geht es um die Entwicklung und Permutation glitschiger ontischer Sphären", steht da zu lesen. Tatsächlich findet sich im Inneren des Hügels eine Millionenshow-artige Bühne mit seltsamen Skulpturen, die als Bausteine einer erfundenen Universalsprache funktionieren sollen.

Bevor ich jetzt aber ins glitschige Territorium von Gottfried Wilhelm Leibniz, Esperanto und Armin Assinger abgleite, lasse ich den Schwurbelsatz so stehen und höre auf zu schreiben. Es gibt noch viel zu sehen.

 

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare