Undenkbar? Oper, die sich nach dem Publikumsgeschmack richtet

Robert Lepages "Siegfried"-Inszenierung an der New Yorker Metropolitan Opera. Sollen sich derartige Inszenierungen an den Publikumsgeschmack anpassen? (Foto:Metropolitan Opera, Ken Howard/AP/dapd)
Erneuter Hinweis: Im KURIER-Interview sagte der Chef der New Yorker Metropolitan Oper etwas, das am Selbstverständnis der Opernwelt rüttelt.
Georg Leyrer

Georg Leyrer

Würde Oper dann wieder bürgerliche Besänftigungskultur werden?

von Georg Leyrer

über die Frage, ob sich Oper an den Publikumsgeschmack anpassen soll.

Kollege Gert Korentschnig hat jüngst ein überaus spannendes Interview mit dem Chef der New Yorker Metropolitan Opera, Peter Gelb, geführt. Ein Satz daraus hat mich nicht losgelassen, denn der rüttelt ganz nebenbei am Selbstverständnis der Opernwelt - zumindest so, wie sie die Europäer verstehen. Hier also nochmal der Hinweis auf folgende Passage:

Peter Gelb: Die Oper hat ja, gerade in New York im Vergleich zum Broadway, den Nachteil, dass es vor der Premiere nicht so viele Previews gibt, wo man Dinge noch verbessern kann.

Aber hallo! Regisseure, die auf den Publikumsgeschmack hören? Die ihre Inszenierungen daran anpassen? Die also quasi nicht über das Publikum hinweg, auf mystischer Tuchfühlung mit der hehren Kunst, sondern für das Publikum inszenieren?

Das muss doch Labsal sein für das europäische Opernpublikum, das sich im allergrößten Ausmaß von den Regisseuren schlecht behandelt, ja oft geradezu missbraucht fühlt. Es ist schon mühsame Routine geworden, dass sich Regisseure um eine zeitgemäße Neuinterpretation in durchaus wechselvoller Distanz zum Werk bemühen, das Publikum aber lieber Wald, Schwert und Pluderhose sehen würde - das Resultat allzuoft: Buhgeschrei und - liebe Grüße an Frank Castorf - gerade dadurch offenbar zufrieden gestellte Regisseure.

Geschmacksdiktatur

Hier lebt man in einer Art unvereinbarer Doppel-Geschmacksdiktatur, die kaum je gemeinsame Nenner findet: Der trotzige Ruf nach Werktreue (übrigens weit schwerer zu definieren, als man denkt!) hier, das ebenso trotzige Beharren auf (oft eigenwilliger) Neuinterpretation dort.

Nur: Was wäre, wenn Publikumsbefragungen und Probeaufführungen - im Musical längst Normalfall - auch in der Opernwelt Einzug fänden? Wenn sich das Bühnengeschehen am breiten Geschmack und nicht an der Vision des Einzelnen ausrichtet? Schnell kommt man auch hier in ein Fahrwasser, das gefährliche Klippen birgt. Würde Oper dann wieder bürgerliche Besänftigungskultur, ohne Anknüpfung an die heutigen Lebenswelten, werden, eine Schlaf- und Abgrenzungsvorlage für die Besserverdienenden, die die Welt nur in der ästhetischen Distanz interessiert? Oder wäre das Publikum im Endeffekt abenteuerlustig genug, sich doch auf die Regie-Aufreger einzulassen, ja braucht es die vielleicht sogar?

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