Ein Defekt der Hochkultur

Der KURIER begleitet im neuen Kulturrevolutionsblog grundlegende Veränderungen in der Kulturwelt.
Georg Leyrer

Georg Leyrer

Kultur tut sich mit Veränderungen überraschend schwer.

von Georg Leyrer

über sich wandelndes Kulturpublikum.

New York ist die Welthauptstadt schlechthin - mit der wohl vielfältigsten Einwohnerschaft. Doch in einem Bereich ist New York eine Stadt wie viele andere, schrieb die New York Times vor einiger Zeit: Nähert man sich Galerien oder auch der Oper, werden die Menschen, die man trifft und die das selbe Ziel haben, zunehmend weniger unterschiedlich. Sie sind vorwiegend weiß, die Kunstschaffenden selbst sind darüberhinaus noch unverhältnismäßig oft männlich und aus der Bildungsschicht.

Hier klafft, auch in Wien, eine Schere: Das Kulturpublikum und die Kulturschaffenden spiegeln die reale Bevölkerungsverteilung nur unzureichend wider. Wer das ändern will - etwa über Förderungen für das sogenannte postmigrantische Theater - kämpft gegen hochemotionale Widerstände, oft vermengt mit ausländerfeindlicher Begleitmusik.

An dieser Diskussion zeigt sich - neben der österreichischen Befindlichkeit - ein Grunddefekt der (Hoch-)Kultur. Kultur erzählt vom Menschen - und tut sich dennoch mit dem realen Menschen schwer, seit eh und je. Reale Konflikte und Probleme werden in der Kultur zum leicht verdaulichen Genuss umgepolt. Selbst mit langsamen, aber grundlegenden Veränderungen weiß man nicht so recht umzugehen: man will etwas von der Welt wissen, aber von dieser gleichzeitig in Ruhe gelassen werden.

Nicht normal

Regisseur Stefan Herheim erzählte mir vor einigen Jahren:

"Was für ein Widerspruch: Auf der Straße vor der Oper sitzt ein Penner, und die Menschen werfen diesem Menschen keine Münze zu, obwohl sie bereit sind, 350 Euro für eine Karte in Salzburg zu zahlen. Und wenn dies zum Opernthema wird und ein Penner auf der Bühne steht und singt, dann rufen alle 'Bravo, wie hübsch'. Das ist doch nicht normal."

Kultur mag sich inhaltlich noch so fortschrittlich geben - strukturell ist sie ein geschlossenes System, das sich mit Neuankömmlingen oder der Öffnung zu bisher ausgeschlossenen Gruppen übermäßig schwer tut. In Wien werden nun "interkulturelle und soziokulturelle" Projekte vermehrt gefördert, hat die Theaterjury beschlossen. Die Grünen haben ihre dementsprechenden kulturpolitischen Forderungen untergebracht - diese Forderungen stießen zuletzt auf vielfältige Kritik.

Viele Fronten

Grüne Kulturpolitik ist hier aber nicht Thema, sondern: Wie schwer sich Kultur mit Veränderungen tut, nicht nur mit denen, die aktuell sind, sondern sogar mit einigen, die längst abgeschlossen sind. Eigentlich sollte Kultur von selbst nah an der Realität dran sein. Aber die entsprechenden Sensoren vieler Künstler sind zuletzt großflächig falsch eingestellt gewesen. Kunstschaffende wissen derzeit nicht, wie sie mit einem grundlegenden Wandel umgehen sollen - der auf vielen Fronten zugleich stattfindet: Nicht nur ihr Publikum verändert sich, das Internet verändert die Art, wie Künstler ihre Produkte verkaufen und mit ihren Fans Kontakt halten; die Wirtschafts- und politischen Turbulenzen sorgen dafür, dass europaweit selbst große, renommierte Häuser vor dem finanziellen Abgrund stehen; die eingeübte Hierarchie zwischen den verschiedenen Kulturformen ist längst auf den Kopf gestellt, was sich im Bewusstsein der Kulturschaffenden, Kulturpolitiker und auch Kulturkritiker nur langsam niederschlägt.

Dies alles soll nun Thema dieses Blogs sein. Das Motto: Kulturrevolution, denn nichts anderes läuft derzeit. Hier entsteht aber keiner der allseits beliebten Innovationsblogs - denn die Kulturrevolution ist nicht nur Fortschritt; die soziale Lage der Künstler, auch die Subventionsentwicklung, sind Anlass zur Sorge.

Oder besser: zu tiefgreifendem Wandel, den der Kulturrevolutionsblog begleiten wird.

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