Es ist alles eine Frage der Definition

Doris Knecht

Doris Knecht

Alles eine Frage der Definition

von Doris Knecht

über Studenten-WGs

Jetzt kommen sie wieder, die frischen Studenten und Studentinnen: rotbackig und erwartungsfroh. So wie Ihre Autorin vor 30 Jahren, wonach ich mich allerdings leider nicht sehr lange mit Studieren aufhielt. Das Wichtigste war: Raus aus dem provinziellen Elternhaus, hinein in die große, fremde Stadt und, vor allem: in die erste eigene Wohnung. Mit Menschen, die man sich, anders als die Herkunftsfamilie, selber aussucht: in einer WG.

Die erste WG ist das Aufregendste, Lehrreichste, Lustigste, was einem jungen Menschen, der seiner Familie entflieht, überhaupt passieren kann. Ich rate dringend, diese Chance zu nützen und die gesamte Bandbreite der Herrlichkeiten auszukosten, die eine WG für ihre BewohnerInnen bereithält.

Plötzlich befindet man sich in einer weitgehend hierarchiefreien Wohnzone, in der man nicht mehr das tun muss, was Eltern sagen, sondern vollkommen frei entscheiden kann, wie man Sauberkeit, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Kleidung, sehr kleine Tiere aller Art, Lärm/Musik, Freundschaften mit Menschen allerlei Geschlechts, Ruhe, meins, deins, Tag und Nacht definieren möchte; auf alle Fälle ganz neu. Das sind schließlich alles soziale Konstrukte, die einem von der unmenschlichen Leistungs- und Ordentlichkeits-Diktatur alter, überholter Generationen aufgezwungen wurden. Mitunter merkt man sehr schnell, dass diese Definition nicht nur von Generation zu Generation, sondern auch von Mensch zu Mensch und von Mitbewohner zu Mitbewohner vollkommen unterschiedlich ausfallen kann. Oft zieht man im Zuge dieser Erkenntnis in eine neue WG, und lernt dann neue Menschen mit neuem Style kennen. Wenn man Glück hat, passt man ein paar Jahre gut zusammen. Wenn man viel Glück hat, werden daraus Freundschaften fürs Leben, die auch noch Bestand haben, wenn man sich für bürgerlichere Daseinsformen entschieden hat.

Meine beste WG bestand aus sieben jungen Menschen, die sich erstaunlicherweise so lange gegenseitig aushielten, bis genervte Nachbarn, bei denen ich mich endlich einmal entschuldigen möchte, schließlich unsere Delogierung erreichten. Ich denke sehr gern an diese Zeit zurück. Willkommen in Wien, ihr rotbackigen Frischlinge.

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